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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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Bundesländer« nennen. Schon mal gehört?
    Die wenigsten entscheiden sich für diese wunderbare höhere Heiterkeit, mit der man das Leben zwar nicht mit Bravour meistern, aber doch immerhin mit einer gewissen Würde zubringen kann. Die meisten fügen sich in das glatte System der astreinen Funktionalität bis in die Freizeit hinein. Ein Kollege erzählte mir kürzlich von einem Essen bei sich daheim. Ein befreundetes Ehepaar sei zu Gast gewesen und habe ihm ausgemalt, wie perfekt sie Familie, Beruf und Sexualität unter Dach und Fach gebracht haben. Die Beziehung, so die Frau, sei frisch wie am ersten Tag, die Kinder berauschend in der Schule und der Job macht den beiden Spaß wie sonst was. Erst später, als die Frau mit der Frau des Gastgebers in der Küche stand, habe der Mann eingestanden, dass ihm der Sex fehle. Der sei im Grunde auf der Strecke geblieben und werde durch ein gelegentliches Glas Wein am Abend kompensiert. Die schöne Funktionalität des Gesamtkonzepts Wohlergehen war eine Illusion, aus Fachzeitschriften und Fernsehsendungen abgeschaut.
    Solange unser hochgetuntes Leben funktioniert, stehen wir hinter ihm. Er ist unser Konzept, unser Plan, unser was auch immer. Dann sind wir »verliebt ins Gelingen«, wie Ernst Bloch das genannt hat. Sobald wir zusammenbrechen, sind wir verliebt in die Krise. Dann verlieben wir uns in den Zustand des Ausgebranntseins und werfen alle unsere täglichen Kulturtechniken in diesen trüben Tümpel. Weil wir nicht mehr können. Wir können uns nicht mehr mit den Belangen der anderen beschäftigen. Die Belange der anderen kannten wir bis dahin aus den sogenannten sozialen Netzwerken. Das Adjektiv »soziale« vor dem Substantiv »Netzwerke« müsste man eigentlich in Gänsefüßchen setzen, so wie es die Springer-Presse vor 30 Jahren mit dem Wort » DDR « gemacht hat. Die Netzwerke sind nicht sozial, und die dort angebotenen Freundschaften sind Phantome von Narzissten. Jeden Tag posten sie uns witzige YouTube-Videos zu, nötigen uns, über Späße in der Titanic und im Hohlspiegel zu lachen. »Monty Python2« möchte dein Freund werden, willst du ihn zulassen? Ein Klick genügt, Monty Python2 ist mein Freund, und ich kenne nicht einmal seinen richtigen Namen. »Der virtuelle Raum ist eine Hölle des Gleichen«, sagt noch einmal Byung-Chul Han. Aber wir glauben ja, in der Hölle des Gleichen aufzugehen, weil sie uns vor dem eigenen Schmerz und dem eigenen Zweifel schützen könnte. Leider funktioniert das nicht, deshalb brennen wir elendig aus in der Hölle des Gleichen wie die armen Sünder in den gemalten Höllen des Hieronymus Bosch.
    Dass wir der Dinge müde sind, dass wir nach einer anstrengenden Arbeit, besonders einer, die sich über Wochen und Monate erstreckt, ausgelaugt sind, ist doch eigentlich nichts Besonderes. Warum erfüllt uns dieses Gefühl nicht mit Stolz? Warum macht es uns nicht zu »Müdstolzen«, wie Peter Handke es in seinem Versuch über die Müdigkeit nennt? Wir können nicht müdstolz sein, weil wir uns nur über die straff gespannte Leitung definieren können. Wir sind online, und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. Der Stolz verbindet sich mit unserem Machen und Tun. Die Müdigkeit ist unsere Krankheit. Erst wenn wir sie diagnostiziert bekommen haben, erst wenn wir den Ritterschlag Burnout empfangen, dann sind wir stolz darauf, im Kampf um die Leistungshoheit gefallen zu sein. Aber das anmutige Wort »Müdigkeit« kommt uns dabei gar nicht in den Sinn. Das wäre ein viel zu harmloser Begriff. Wer müde ist, nimmt sich eine Mütze voll Schlaf und ist morgen wieder am Flipchart zugange. Nein, wir sind nicht müde, wir sind ausgebrannt, die Leistungsgesellschaft hat uns ein Leid angetan. Und jetzt sagen wir: Seht her, das ist meine Wunde. Ich bin leer und muss in der Seeklinik Roibuschtee trinken, damit ich erst ganz weich werde, bevor ich wieder der harte Bursche sein kann, der ich mal war. Aber wenn ich es wieder bin, habe ich eine kleine Philosophie des Menschlichen für euch andere COO s mitgebracht. Ihre Kernidee lautet: Jeder, der in der täglichen Arbeitshölle steckt, sollte einmal die Erfahrung des Burnout gemacht haben, damit er weiß, wo die Grenzen sind. Entschuldigung, aber wer mit 40 nicht weiß, wo seine Grenzen sind, wer dann immer noch nicht verstanden hat, dass der Mensch eine Maschine mit relativ geringer Belastungskraft ist, kurz: wer überhaupt keinen Schimmer von unserer körperlichen und geistigen Begrenztheit hat, ist
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