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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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schenkt. Wem das Burnout übrigens zu psychelnd erscheint, kann auch den Bandscheibenvorfall als Symptom der Überforderung nehmen. Er ist mittlerweile als körperliche Tangente zum Burnout anerkannt. Wer zu viel schultern muss, hat das Recht, sich für einen Bandscheibenvorfall bewerben zu dürfen. Wenn der Bayer von jemandem lobend behauptet, er habe »etwas im Kreuz«, so meint er damit, dass dieser jemand über besondere Fertigkeiten verfügt, sogenannte Skills, die ihn zu einem unentbehrlichen Mitglied unserer Leistungsgesellschaft machen. Wer möchte einem solchen Kreuzritter verdenken, seine Verdienste hin und wieder mit diesem dumpfen und unmenschlichen Schmerz in der unteren Wirbelsäulengegend zu adeln?
    Für unsere Seele, das unbekannte Wesen, stehen ebenfalls sogenannte Experten bereit. Sie behandeln allerdings nicht uns selbst mit unserer Geschichte, unserer Kindheit und den Verwerfungen, die wir erfahren haben. Die Zeiten sind ein bisschen passé, in denen wir uns nach dem Vorbild Woody Allens und seiner New Yorker Upperclass-Freunde einen schönen Nachmittag lang auf eine Liege liegen und einem märtyrerhaft geduldigen Therapeuten die Ereignisse des Tages erzählen durften, um sie in der anschließenden kurzen Interpretation mit unseren Erfahrungen aus der Kindheit gekoppelt wieder erzählt zu bekommen.
    Die heutigen Psychologen behandeln punktgenau unser Burnout, ein Leiden, das, wäre es ein Tier, dem Therapeuten zahm aus der Hand fressen würde. Denn das Burnout-Syndrom besitzt ja nicht die Wucht der Depression. Hinter ihm steht keine Geschichte, die in einer trüben, womöglich von Misshandlungen durchsetzten Kindheit beginnt und in einer Reihe aufgrund des trüben Erfahrungshorizonts gescheiterter Liebesbeziehungen endet. Hinter ihm steht nur eine relativ überschaubare Ausbrennungsphase in der Firma.
    Burnout-Kranke kann man, um es einmal robust auszudrücken, anfassen, ohne dass man viel kaputt macht. Man weiß, ein Burnouter ist kein wirklich Depressiver, er ist eher noch ambulant im Diesseitigen zu Hause als in der Jenseitswelt der wirklichen Krankheit stationiert. Und weil der Burnouter so verstehbar und seine Dysfunktion so nachvollziehbar ist, wenden die Betriebe alles Mögliche auf, um dieser Seuche entgegenzuschleudern, was nur geht. Der Vorstand des Volkswagen-Konzerns trat in der Burnout-Diskussion dergestalt hervor, dass er seine Entscheidungsträger anwies, nach Feierabend keine E-Mails mehr an jene Mitarbeiter zu versenden, die über ein Smartphone verfügen, 1100 sind das insgesamt bei VW. Natürlich liegt die Würze dieser Mitteilung darin, dass jene Mitarbeiter, die mit einem Firmen-Smartphone beehrt wurden, zu den hierarchisch höhergestellten zählen, den klassischen Burnout-Kandidaten also. Der Rest bekommt ohnehin keine E-Mails von der Firmenleitung. Andere Firmen erklären die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr zur temporalen Tabuzone für den E-Mail-Verkehr. Alles in allem sind das freundliche Handreichungen, die nur etwas taugen, wenn man wirklich glaubt, Burnout sei nur eine Folge der ständigen Erreichbarkeit.
    Dem Burnout wird mit einem gewaltigen Alarmismus begegnet, so als handle es sich bei ihm um eine Seuche, die uns alle erfassen und niederringen kann. Dabei spielen natürlich auch die errechneten Verluste eine Rolle, mit denen Firmen leben müssen, wenn ein oder gleich mehrere Mitarbeiter mit einem Burnout-Syndrom zu Hause bleiben. Vielleicht fällt die Reaktion der Chefetage deshalb umso wütender aus, wenn ein an Burnout Erkrankter eben nicht zuhause bleibt, sondern an einem Freizeitvergnügen teilnimmt, im Fall einer ausgebrannten Betriebsrätin aus Wuppertal handelte es sich sogar um einen Segeltörn. Den hatte die Frau wahrgenommen, obwohl sie wegen Burnouts krankgeschrieben war. Der Chef fand kein Verständnis für die Suche nach Abwechslung und sprach die Kündigung aus. Die Sache endete später vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit einem Vergleich.
    Nein, mit Burnout ist nicht zu spaßen. Wer ihn hat, trägt auch Verantwortung dafür, dass er anständig leidet und sich keine Wege sucht, ein bisschen Freude am Leben zurückzugewinnen. Burnout ist in Deutschland tatsächlich eine Volkskrankheit geworden – eine, für deren Ausbruch man sogar Schuldige finden kann: den Arbeitgeber, der viel zu hohe Anforderungen an seine Mitarbeiter stellt; die Gesellschaft, die verlangt, dass man zu jeder Zeit funktioniert, beruflich wie privat. Und den
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