Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
Vom Netzwerk:
Immer wieder werden die gleichen Fälle erzählt, Menschen, die eines Tages nicht mehr wissen, ob sie zuerst Cappuccino trinken sollen und dann die Mails lesen, und am Ende nicht mehr sicher sind, ob man die Mails trinkt oder den Cappuccino weiterleitet. Dann kümmern sich speziell für das Burnout-Syndrom ausgebildete Ärzte um diese Menschen, sie werden in Kliniken auf sich selbst zurückgeworfen und kommen am Ende als geläuterte Purgatoriumsabsolventen milde und stark an ihren Arbeitsplatz zurück. Ein bisschen erinnern die Fallbeispiele an die Struktur des mittelalterlichen Heldenepos. Der Ritter muss Aventiure suchen, eine Krise bestehen und kommt am Ende an die Tafelrunde. Im Burnout-Abenteuerroman wird gearbeitet, bis es nicht mehr geht, dann kommt der große Zusammenbruch und schließlich die Erkenntnis, dass man auch ganz anders leben kann – bewusster, selbstgerechter und noch eine Spur egozentrischer, denn nun hatte man einmal Burnout und wird jedes Signal seines Körpers im Auge behalten.
    Und man wird denen, die noch immer einigermaßen gefestigt durchs Leben gehen, mit einer ungesunden Skepsis begegnen, denn ihnen dürfte es ja wohl ganz gehörig an Leidenschaft fehlen, wenn sie nach drei Jahren Berufstätigkeit nicht auf allen vieren zum Arzt kriechen und ihm ihre ausgekokelten Seelen auf die Couch legen.
    Aber muss man den Ausgebrannten wirklich allüberall und stets mit gesenkten Lidern begegnen? Muss man ihnen wirklich grundsätzlich konzedieren, dass sie arme Hunde sind, denen die Gesellschaft mit ihrem Kapitalismuszwang und dem gnadenlosen Konsum- und Statusterror den Garaus gemacht hat? Vielleicht sollte man ihnen einfach mal erklären, was das Leben eigentlich ist. Was es hier bedeutet in diesem satten Land und wie es in anderen Ländern darum bestellt ist – zum Beispiel im Kampf um einen Teller Reis oder einen Eimer Wasser? Und man kann ihnen ruhig einmal erläutern, dass zur Lebensführung auch eine gewisse Klugheit gehört und die Fertigkeit, die Arbeit als Arbeit zu betrachten und nicht als Gegner, der uns am Ende eines großen Leistungstages in den wohlverdienten Burnout schleudert.
    Natürlich kommt eine Polemik über Burnout nicht ohne einen kleinen Exkurs über die Geschichte des Begriffs und seine Verwendung aus. Und sie kann ihre Wirkung auch nicht entfalten, wenn man auf folgende Klarstellung verzichtet: Es gibt in der Tat Menschen, die mit ihrer Arbeit und von den Forderungen, die an sie gestellt werden, dermaßen überwältigt sind, dass sie krank davon werden. Das gilt in hohem Maße für solche Frauen und Männer, die in Pflegeberufen arbeiten oder in Branchen, in denen Schichten geschoben werden, meistens mehr, als ein Mensch ertragen kann. Allerdings tragen diese Menschen den Burnout-Wimpel eher nicht in der Hand, gehen diese Menschen nicht in teure Kliniken, sondern sitzen hilf- und ratlos wochenlang zu Hause, ohne dass ihnen wirkliche Zuwendung zuteilwird. Aber wann las man in einem Magazin Geschichten von Altenpflegern oder von Helfern in Suchtkliniken, die an Burnout leiden? Sie sind nicht die Klientel, über die man bei diesem Thema schreibt, weil sie nicht glamourös genug sind. Möglicherweise ist auch die Fallhöhe nicht groß genug. Denn ein Manager, dessen zweite Natur es über Jahre hinweg gewesen ist, unangreifbar und unverwundbar zu sein, der plötzlich mit dem Schicksalsschlag Burnout geschlagen wird, macht allemal deutlich mehr her.
    Der Psychiater Herbert Freudenberger hat 1974 die Arbeitsbelastung von freiwilligen Helfern in einer New Yorker Drogenklinik untersucht und in einer Studie zum ersten Mal das Verb burned out gebraucht, um die Erschöpfungszustände des Personals zu beschreiben. Später gingen Arbeitsforscher und Psychologen daran, den Begriff zu pathologisieren, also eine Art Berufskrankheit mit ihm zu bezeichnen. Das misslang, weil die Zustände, die das Wort »Burnout« bündeln soll, nämlich anhaltende Erschöpfung und das schmerzhafte Erleben von Misserfolgen, keine seelischen Erkrankungen darstellen. Bei Menschen, denen eine bestimmte Disposition zukommt, die also aufgrund ihrer Persönlichkeit prädestiniert für psychische Krankheiten sind, können solcherlei Erschöpfungszustände zu Depressionen führen, die ja nun wirklich ernst zu nehmende Erkrankungen sind. Der Psychiater Markus R. Pawelzik gab in einem lesenswerten Aufsatz im Merkur seiner Verwunderung über die magische Anziehungskraft des Lockworts »Burnout« Ausdruck: »Wenn ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher