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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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nähern, dann möglichst betreten und leicht gebeugt; wir wissen ja nicht, ob wir ihnen noch weiter schaden könnten, wenn wir sie falsch anreden, denn ihr Leiden erscheint uns gleichermaßen einleuchtend wie befremdlich. Und dass er von den Erfahrungen ausgesuchter Prominenter veredelt wird, lässt uns das Burnout-Syndrom noch begehrenswerter erscheinen. Wir fragen uns seltsamerweise nicht, wieso ein Fernsehkoch, der für sehr viel Geld eine vergleichsweise angenehme Arbeit machen darf, ausgebrannt ist. Wir wundern uns kaum, wenn ein Fußballtrainer, der olympische Summen Geldes nach Hause bringt, nicht mehr weiterkann, weil er aus dem Urlaub unbedingt zu einem Fußballspiel nach London fahren muss; es leuchtet uns sofort ein, dass eine erfolgreiche Professorin uns beichtet, ihr habe sich nach all den Vorlesungen, Medienauftritten und Reisen in ferne Länder irgendwann die Sinnlosigkeit ihres Tuns vor Augen geschoben. Über die Sinnlosigkeit allen Tuns und wie es mit den viel beklagten Selbstzweifeln bestellt ist – dazu später ausführlicher. Die vielen Prominentenburnoutings geben der stolzen Erschöpfung eine Art höhere Weihe und liefern eine vorzügliche Identifikation für alle Ausgebrannten. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel hat einen Brief an mein Leben in Buchgröße verfasst, in welchem sie eigentlich vor allem beschreibt, wie sie sich eins mit ihrer Arbeit fühlte, bis sie eines Tages den Überblick über Termine, Verpflichtungen und ihren Kräftehaushalt verloren hat:
    »Ich musste mittwochabends darüber nachdenken, welche Jeans ich wohl vierzehn Tage später auf einer Party in Berlin würde anziehen wollen und welche Schuhe zu dem grüngrauen Abendkleid passen könnten, das beim Botschaftsempfang am Vorabend erwartet würde. Das Kleid musste auch noch sorgsam verpackt werden, ebenso wie leichte Kleidung für die mehr als 30 Grad in Peking, warme Kleidung für Hamburg und Berlin und so fort.«
    Das sind freilich Herausforderungen, denen nur die Allerstärksten von uns gewachsen sind. Aus diesem Text winkt die Grundidee des Ausgebranntseins: Ich bewege mich auf dem allerhöchsten Geschäftsniveau, die Umstände meiner Arbeit sind mörderisch, aber ich bin Kosmopolit, werde unablässig überallhin eingeladen und verfüge über einen sehr guten Geschmack. Irgendwann geht das alles einfach nicht mehr, dann steht die Medienfrau plötzlich eines Morgens im Hotel und weiß nicht, was sie als Erstes tun soll. Sie empfindet ihre Ratlosigkeit als Zusammenbruch und geht in eine Klinik, wo sie aber keineswegs als Häufchen Elend einzieht. Vielmehr residiert sie dort als von den Anforderungen des spätmodernen Lebens geschwächte Leistungsträgerin, die aber den Sinn für die Verfeinerungen des Alltags nicht verloren hat. Sie trinkt köstlichen Tee, nimmt leichte Mahlzeiten ein und führt sublime Gespräche – der »Burnouter« ist ein Erschöpfter mit Stil. Er weiß, wie man auch aus dem Versagen ein Mosaik für die Leistungsbilanz bastelt. Im Grunde ist sein Burnout nichts weiter als ein neues Projekt, auf das es sich vorzubereiten gilt und das sich kommunikativ nutzen lässt – beispielsweise in Gestalt eines autobiografischen Berichts.
    Die Philosophie der Läuterung, die auch in Meckels Buch Anwendung findet, geht mit einer schmallippigen Anklage an die gnadenlose Gesellschaft einher, die angeblich nur den leistungsbereiten Menschen akzeptiere, während das »Denken, Fühlen, Zweifeln, das zum Menschen gehört, all das in dieser Leistungsgesellschaft größtenteils verschüttet« sei. Bei allem Respekt für die Analyseleistung der Ausgebrannten: Das ist ein ziemlicher Kokolores. Es wurde zu keiner Zeit in unserer Gesellschaft so viel gedacht, gefühlt und gezweifelt. Die Zweifelkultur ist ja sogar in die Firmenphilosophien eingegangen und Sensibilität eine mittlerweile fast inflationär eingeforderte Kulturtechnik. Nein, mit diesen faden Schuldzuweisungen mögen uns die Ausgebrannten bitte nicht kommen. Denn wäre die Gesellschaft dem Fühlen, Denken und Zweifeln so abhold, hätte das Thema Burnout sicher nicht die Chance gehabt, dermaßen populär zu werden. Die große Erschöpfung wanderte durch die Magazine, Tages- und Wochenzeitungen wie ein großer Flüchtlingstreck. Der Spiegel machte das Burnout-Syndrom gleich drei Mal zum Titel, sodass sogar bereits intern gemutmaßt wurde, dass die Ausbrennung sogar den Dauerbrenner Hitler als Titelthema für alle Zeit verdrängt haben könnte.
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