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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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ein emotional und sozial verkümmerter Kasper, der auf keinen Fall eine Position innehaben sollte, auf welcher er Verantwortung für andere Menschen trägt. Denn jemand, der Burnout für eine besonders feierliche Form des Feierabends hält, ist eigentlich nicht vermittelbar.
    Kann es sein, dass uns inzwischen nicht mehr wirklich deutlich vor Augen steht, was Arbeit eigentlich bedeutet? Was es bedeutet hat? In vergangenen Jahrzehnten – und wir reden nicht vom vorindustriellen Zeitalter oder den Ausbeutungen der Jahrhundertwende –, seinerzeit also sah der Tag eines Arbeiters vor, frühmorgens seine Schicht zu beginnen. Während der nun folgenden acht Stunden hat der Mann seine oft sehr schwere und dem Gesundheitlichen nicht immer zuträgliche Tätigkeit versehen. Danach ging er nach Hause und wurde von seiner Ehefrau bekocht. Bitte, Feministinnen und hellwache Wächter des Modernen: Das ist keine Reminiszenz an das Patriarchat, sondern eine historische Bestandsaufnahme. Dann schloss sich die Pflege des Gartens als Freizeitbeschäftigung an, abends trafen sich die Kollegen in Taubenzüchtervereinen. Und am Morgen begann wieder eine mühsame Arbeitszeit.
    Die Arbeit wurde als solche begriffen und vom übrigen Leben weitgehend abgekoppelt. Die Naherholungsgebiete und Schrebergärten des Ruhrgebiets, oft belächelt, weil von Kennt nislosen als künstliche Malocher-Idyllen missverstanden, dienten dazu, den arbeitenden Menschen zu suggerieren: Es gibt eine hedonistische Alternative zum Bergbau-Schacht. Es gibt einen Ort, an dem sich ein Kulturbegriff pflegen lässt, der aus – bitte, hier herrscht keine Ironie – Unkrautjäten, Kaninchenzucht und Gesprächen bei Bier und Zigarettenrauchen besteht. Eine soziale Enklave, in welcher zwar die Arbeit als Statusgeberin und Lebenserhalterin gegenwärtig war, die aber gleichzeitig eine autarke und dem Arbeitsalltag gleichrangige Funktion einnahm. Von ausgebrannten Arbeitern hört man auch heute eher wenig. Ausgebrannt sind vor allem statusbewusste Menschen, solche, bei denen die Eitelkeit in der Berufsausübung ein nicht unwesentlicher Motor ist. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg schreibt in seinem großen Essay Das Unbehagen in der Gesellschaft , dass seit den 80-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine weiche Komponente in die Arbeitswelt eingezogen sei, die er mit dem schönen Goethe`schen Wort von der Persönlichkeit benennt. Seit dieser Zeit müssen Menschen in Büros, öffentlichen Einrichtungen und besonders in den in letzter Zeit so in den Geruch der Unseriosität gekommenen Callcentern über sogenannte Softskills verfügen. Sie müssen in der Lage sein, andere von ihren Angeboten zu überzeugen, müssen Formen der Freundlichkeit und Verbindlichkeit beherrschen, die zuvor im Büroalltag eher beiläufig gepflegt wurden. Sie müssen regelrechte Psychologen und Anthropologen sein, um ihr verhältnismäßig profanes Geschäft bewerkstelligen zu können. Das ständige Denken, Fühlen, Sichhineinversetzen und Verständnishaben muss einen Menschen, der einigermaßen bei Trost ist, auf die Dauer wahnsinnig machen. Der Soziologe Dieter Zapf erinnert in schöner Regelmäßigkeit daran, dass die Anordnung, lächeln zu sollen, die Menschen krank mache. Wer von Berufs wegen ständig lächeln muss, stellt seine eigentlichen Befindlichkeiten hintan und rutscht über die finsteren Stationen Selbstverleugnung, Zwanghaftigkeit und Unterordnung direkt in die Herzinsuffizienz respektive in die Depression. Den auf solche Weise Erkrankten rät der Experte, sich gelegentlich zurückzuziehen, die Mundwinkel konsequent zusammenschnurren zu lassen und in der nunmehr bewusst ausgelebten schlechten Laune neue Kraft zu tanken. Übrigens ist das professionelle Zusammenspiel von Lächeln und Dienstleistung schon in den 80-Jahren von der amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild erkannt und kritisiert worden. Hochschild hat sich das verzweifelte Lächeln der Stewardessen eine ganze Weile angeschaut und kam dann – mit Marx und Marcuse im Handgepäck – nicht umhin festzustellen, dass Fluggesellschaften das Lächeln kommerzialisierten, also aus einer schönen Sache wie dem Gefühlsausdruck eine Ware machten: »Wenn das Management die Regel setzt, wie man sich zu fühlen und wie man Gefühle auszudrücken hat, wenn Arbeiter weniger Anrecht auf Höflichkeit haben als Kunden …«, so fragt die Soziologin, »welchen Einfluss hat all dies auf das Gefühlsleben eines Menschen?«
    Wenn
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