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Winterland

Winterland

Titel: Winterland
Autoren: Åke Edwardson
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registriert, aber nur für ein paar Sekunden, oder für eine Minute. Er hatte keinen Abdruck auf dem Boden hinterlassen. Für einen Moment wünschte sich Winter hundert Jahre in die Zukunft, wo die Spurensicherung eine Technik erfunden hatte, Schatten von einem glatten Fußboden abzunehmen. Wie ein Negativ bei einer Fotografie. Jemand ging über den frisch gebohnerten Fußboden, und der Abdruck blieb. Ein Negativ. Eine Fotografie. Winter sah den Blitz vor seinem inneren Auge. Hirschmanns letzte Fotosession. Eine von Hunderten, Tausenden. Hirschmann war wahrscheinlich einer der meistfotografierten Männer Europas gewesen. Es musste Tausende von Fotos von ihm in aller Welt geben. Fotografien. Hirschmann auf Fotografien.
    Winter sah zu dem leeren Fach hoch. Er ging in den Speisesaal hinaus und holte einen Stuhl, stellte ihn vor das Regal und sah hinein, doch es war genauso leer wie zuvor.
    »Woran denkst du?«, fragte Ringmar.
    »Fotos«, antwortete Winter und kletterte wieder hinunter.
    »Was für Fotos?«
    »Wenn es nun kein Rezept war oder irgendetwas anderes, was mit seiner Arbeit zusammenhing?«, sagte Winter, ohne Ringmar anzusehen. »Nichts, was so konkret war.« Er sah Ringmar an. »Ich meine, die Sache, hinter der der Mörder her war. Wenn er überhaupt hinter irgendwas her war. Vielleicht suchte er ja gar keine Aufzeichnungen oder so etwas.«
    »Was dann?«
    »Vielleicht ein Foto.«
    »Wovon?«
    »Vom Mörder.« Winter packte Ringmar am Ärmel. »Eine Fotografie vom Mörder und Hirschmann zusammen.«
    »Von der er nicht wollte, dass wir sie finden?«
    »Ja.«
    »Warum denn?«
    »Weil sie ihn verraten würde natürlich.«
    »Aber das ist doch unsinnig«, sagte Ringmar.
    »Wie meinst du das?«
    »Nun, wenn er den Mord nicht begangen hätte, dann könnte das Foto doch liegen bleiben, wo es war.«
    »Vielleicht brauchte er es«, meinte Winter.
    »Wofür?«
    »Die Frage kommt mir irgendwie bekannt vor, Bertil.«
    »Es kann durchaus noch andere Motive geben«, meinte Ringmar. »Aber als der Mord begangen wurde, war es lebenswichtig, Beweise oder Indizien, wie zum Beispiel eine Fotografie, zu beseitigen.«
    »Lebenswichtig«, sagte Winter.
    »Noch so eine wilde Hypothese«, sagte Ringmar. »Die Fotohypothese.«
    »Freut dich das nicht?«
    »Wir sollten mal langsam ans Sortieren gehen«, gab Ringmar zu bedenken. »Ich meine, ehe wir ernsthaft anfangen zu arbeiten.«
    »Haben wir noch nicht ernsthaft angefangen?«, fragte Winter. »Wie viel hast du in den letzten vierundzwanzig Stunden geschlafen?«
    »Ich habe heimlich ein Nickerchen gemacht, als ich dahinten Richardsson sein sollte«, sagte Ringmar.
    »Du sahst aus, als würdest du nachdenken«, sagte Winter.
    »Das ist einer meiner Tricks.«
    »Ich habe gerade an Hirschmann gedacht und daran, wie es möglicherweise in dieser Nacht und in dieser Küche vor sich gegangen sein könnte«, sagte Winter und machte einen Schritt auf den Fußboden, als wolle er ihn austesten. »Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir haben die Zeugenaussagen, aber irgendetwas stimmt nicht.« Er drehte sich zu Ringmar um. »Es klingt alles logisch, aber wir haben nicht aufmerksam genug zugehört. Irgendwas ist falsch.«
    »Dann müssen wir die Zeugenaussagen noch mal lesen«, sagte Ringmar und zuckte mit den Schultern. »Das ist doch Routine. Wie viele Dutzend Mal hast du nicht schon ein und dieselbe Aussage gelesen?«
    »Krabben werden im Dutzend gewogen«, sagte Winter zu sich selbst.
    »Uns fehlt es nie an Abendlektüre«, fuhr Ringmar fort, »das kann ruhig …«
    Er wurde vom Klingeln von Winters Handy unterbrochen. Winter nahm das Telefon aus der Innentasche des Jacketts und antwortete.
    Es war Möllerström, der Mann in der Zentrale auf der Wache.
    »Ich habe einen Anruf von einem Mann von der Securitas erhalten«, sagte er.
    »Und?«
    »Ich habe den Namen, er heißt … Richardsson. Wachmann. Er wollte mit Ihnen reden.«
    »Aber er hat doch meine Handynummer«, meinte Winter.
    »Bestimmt hat er sie verschlampt.«
    »Hat er irgendeine Nummer hinterlassen, auf der ich ihn jetzt erreichen kann?«, fragte Winter.
    »Ja, einen Moment«, sagte Möllerström.
    Winter wählte die Nummer.
    »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Ringmar, während Winter auf eine Antwort wartete.
    »Richardsson? Hallo. Sie wollten mich sprechen?«
    Winter hörte zu.
    »Ach so.«
    Er hörte wieder.
    »Sind Sie da ganz sicher?«
    Ringmar hörte das Geräusch von der Stimme des anderen in der Leitung, aber keine Worte.
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