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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Hermann Hesse
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nichts so sehr wie den Zeitvertreib, und ich bin ein Menschenwerk und soll den Menschen dienen. Wir tun eben unsre Pflicht, unsre einfache Pflicht, wir Denkmäler, nicht mehr und nicht weniger.«



»Denkmäler, sagen Sie? Betrachten Sie sich als ein Denkmal?«
    »Wir alle sind Denkmäler. Wir Erzeugnisse der Industrie sind alle Denkmäler einer menschlichen Eigenschaft oder Tugend, einer Eigenschaft, welche in der Natur selten ist und in höherer Ausbildung nur bei den Menschen gefunden wird.«
    »Welche Eigenschaft meinen Sie denn da, Herr Franklin?« »Den Sinn für das Unzweckmäßige. Ich bin, neben vielen meinesgleichen, ein Denkmal dieses Sinnes. Ich heiße Franklin, ich bin ein ofen, ich habe einen großen Mund, der das Holz frißt, und ein großes Rohr, durch das die Wärme den raschesten Weg ins Freie findet. Ich habe auch, was ebenso wichtig ist, ornamente, Löwen und andere, und ich habe einige Klappen, die man öffnen und schließen kann, was viel Genuß gewährt. Auch dies dient dem Zeitvertreib, ähnlich wie die Klappen an einer Flöte, die der Spieler nach Belieben öffnen und schließen kann. Es gibt ihm die Illusion, er tue etwas Sinnvolles, und am Ende tut er das ja auch.«
    »Sie entzücken mich, Franklin. Sie sind der klügste ofen, den ich je gesehen habe. Aber wie ist das nun: sind Sie nun eigentlich ein ofen oder ein Denkmal?«
    »Wieviel Sie fragen! Sie wissen doch, der Mensch ist das einzige Wesen, das den Dingen einen Sinn beilegt. So ist der Mensch nun einmal, ich stehe in seinem Dienst, ichbin sein Werk, ich begnüge mich damit, Tatsachen festzustellen. Der Mensch ist Idealist, er ist Denker. Für das Tier ist die Eiche eine Eiche, der Berg ein Berg, der Wind ein Wind und kein himmlisches Kind. Für den Menschen aber ist alles göttlich, alles sinnvoll, alles Symbol. Alles bedeutet noch etwas ganz anderes, als was es ist. Das Sein und das Scheinen stehen im Streit. Die Sache ist eine alte Erfindung, sie geht, glaube ich, auf Plato zurück. Ein Totschlag ist eine Heldentat, eine Seuche ist Gottes Finger, ein Krieg ist Verherrlichung Gottes, ein Magenkrebs ist Evolution. Wie sollte da ein ofen nur ein ofen sein können? Nein, er ist Symbol, er ist Denkmal, er ist Verkünder. Er scheint wohl ein ofen zu sein, er ist es sogar in gewissem Sinne, aber geheimnisvoll lächelt Ihnen aus seinem einfachen Gesicht die uralte Sphinx entgegen. Auch er ist Träger einer Idee, auch er ist eine Stimme des Göttlichen. Darum liebt man ihn, darum zollt man ihm Achtung. Darum heizt er wenig und nur nebenbei. Darum heißt er Franklin.«
    (1919)

/ SCHNEE /
    Wenn der Schnee auf Wald und Garten fällt,
Ist es nur ein leichtes Ruhedach,
Unter dem ermüdet diese Welt
Eine Weile schläft. Bald wird sie wach.
    Wenn der Tod mir Blut und Glieder stillt,
Sprecht mit Lächeln euer Trauerwort!
Still in Trümmer sinkt ein flüchtig Bild;
Was ich bin und war, lebt fort und fort.
    // Eines Menschen Leben und eines Dichters Werk wächst aus hundert und tausend Wurzeln und nimmt, solang es nicht abgeschlossen ist, hundert und tausend neue Beziehungen und Verbindungen auf, und wenn es einmal geschähe, daß ein Menschenleben von seinem Beginn bis zum Ende aufgeschrieben würde samt allen diesen Verwurzelungen und Verflechtungen, so würde das ein Epos ergeben, so reich wie die ganze Weltgeschichte. Wer alt geworden ist und darauf achtet, der kann beobachten, wie trotz dem Schwinden der Kräfte und Potenzen ein Leben noch spät und bis zuletzt mit jedem Jahr das unendliche Netz seiner Beziehungen und Verflechtungen vergrößert und vervielfältigt und wie, solange ein Gedächtnis wachist, doch von all dem Vergänglichen und Vergangenen nichts verlorengeht.
    (Aus: »Weihnachtsgaben«, 1956)
    // Kürzlich schrieb mir ein Freund aus der Stadt und wollte mich davon überzeugen, daß es unklug von mir sei, den Winter auf dem Lande zu verbleiben. Der Mangel an Verkehr und Abwechslung, meinte er, würde mich umbringen. »Denke dagegen an den Winter in der Stadt«, fuhr er fort, »da brauchst du, wenn du Langeweile hast, nur zum Fenster hinauszusehen und hast gleich ein ganzes unerschöpfliches Bilderbuch vor dir.« Ach ja, ich erinnere mich wohl an dies Bilderbuch. Nein danke.
    (Aus: »Vor meinem Fenster«, 1904)
    // Es ist mitten im Winter, der Schnee wechselt mit Föhn und das Eis mit Schmutz, die Feldwege sind ungangbar, man ist von der nächsten Nachbarschaft abgeschnitten. Der See kocht an kalten Morgen weißen Dampf und setzt
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