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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Hermann Hesse
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dürfen.«
    Aber Gott ließ ihn nicht weiterreden. Er sah ihn durchdringend aus den hellen Augen an und fuhr fort: »Hör auf, Knulp! Du hast der Lisabeth sehr weh getan, das ist nicht anders, aber du weißt wohl, sie hat doch mehr Zartes und Schönes von dir empfangen als Böses, und sie hat dir nicht einen Augenblick gezürnt. Siehst du denn immer noch nicht, du Kindskopf, was der Sinn von dem allen war? Siehst du nicht, daß du deswegen ein Leichtfuß und ein Vagabund sein mußtest, damit du überall ein StückKindertorheit und Kinderlachen hintragen konntest? Damit überall die Menschen dich ein wenig lieben und dich ein wenig hänseln und dir ein wenig dankbar sein mußten?« »Es ist am Ende wahr«, gab Knulp nach einigem Schweigen halblaut zu. »Aber das ist alles früher gewesen, da war ich noch jung! Warum hab ich aus dem allen nichts gelernt und bin kein rechter Mensch geworden? Es wäre noch Zeit gewesen.«



Es gab eine Pause im Schneefall. Knulp rastete wieder einen Augenblick und wollte den dicken Schnee von Hut und Kleidern schütteln. Aber er kam nicht dazu, er war zerstreut und müde, und Gott stand jetzt nahe vor ihm, seine lichten Augen waren weit offen und strahlten wie die Sonne.
    »Nun sei einmal zufrieden«, mahnte Gott, »was soll das Klagen nützen? Kannst du wirklich nicht sehen, daß alles gut und richtig zugegangen ist und daß nichts hätte anders sein dürfen? Ja, möchtest du denn jetzt ein Herr oder ein Handwerksmeister sein und Frau und Kinder haben und am Abend das Wochenblatt lesen? Würdest du nicht sofort wieder davonlaufen und im Wald bei den Füchsen schlafen und Vogelfallen stellen und Eidechsen zähmen?«
    Wieder fing Knulp zu gehen an, er schwankte vor Müdigkeit und spürte doch nichts davon. Es war ihm viel wohler zumute geworden, und er nickte dankbar zu allem, was Gott ihm sagte.
    »Sieh«, sprach Gott, »ich habe dich nicht anders brauchenkönnen, als wie du bist. In meinem Namen bist du gewandert und hast den seßhaften Leuten immer wieder ein wenig Heimweh nach Freiheit mitbringen müssen. In meinem Namen hast du Dummheiten gemacht und dich verspotten lassen; ich selber bin in dir verspottet und bin in dir geliebt worden. Du bist ja mein Kind und mein Bruder und ein Stück von mir, und du hast nichts gekostet und nichts gelitten, was ich nicht mit dir erlebt habe.«
    »Ja«, sagte Knulp und nickte schwer mit dem Kopf. »Ja, es ist so, ich habe es eigentlich immer gewußt.«
    Er lag ruhend im Schnee, und seine müden Glieder waren ganz leicht geworden, und seine entzündeten Augen lächelten.
    Und als er sie schloß, um ein wenig zu schlafen, hörte er noch immer Gottes Stimme reden und sah noch immer in seine hellen Augen.
    »Also ist nichts mehr zu klagen?« fragte Gottes Stimme. »Nichts mehr«, nickte Knulp und lachte schüchtern.
    »Und alles ist gut? Alles ist, wie es sein soll?«
    »Ja«, nickte er, »es ist alles, wie es sein soll.«
    Gottes Stimme wurde leiser und tönte bald wie die seiner Mutter, bald wie Henriettes Stimme, bald wie die gute, sanfte Stimme der Lisabeth.
    Als Knulp die Augen nochmals auftat, schien die Sonne und blendete so sehr, daß er schnell die Lider senken mußte. Er spürte den Schnee schwer auf seinen Händen liegenund wollte ihn abschütteln, aber der Wille zum Schlaf war schon stärker als jeder andere Wille in ihm geworden.
    (Aus: »Knulp«, 1907 / 14)
/ WANDERER IM SCHNEE /
    Mitternacht schlägt eine Uhr im Tal,
Mond am Himmel wandert kalt und kahl.
    Unterwegs im Schnee und Mondenschein
Geh mit meinem Schatten ich allein.
    Wieviel Wege ging ich frühlingsgrün,
Wieviel Sommersonnen sah ich glühn!
    Müde ist mein Schritt und grau mein Haar,
Niemand kennt mich mehr, wie einst ich war.
    Müde bleibt mein dürrer Schatten stehn –
Einmal muß die Fahrt zu Ende gehn.
    Traum, der durch die bunte Welt mich zog,
Weicht von mir. Ich weiß nun, daß er log.
    Eine Uhr im Tal schlägt Mitternacht,
o wie kalt der Mond dort oben lacht!
    Schnee, wie kühl umfängst du Stirn und Brust!
Holder ist der Tod, als ich gewußt.
    // Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lang getragen hat, das ist eine köstliche, eine wunderbare Sache.
    (Aus: »Das Glasperlenspiel«, 1931-1942)
    // Unsre Gegend ist sehr still und merkt vom Krieg sehr wenig, im Unterschied zur deutschen Schweiz. Und endlich haben wir, zum Ausklang dieses Regenjahres, auch eine Periode schönen haltbaren Wetters, sanfte sonnige Tage.
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