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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Hermann Hesse
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glasig brüchige Eisränder an, jedoch beim nächsten warmen Winde wogt er wieder schwarz und lebendig und verblaut gegen osten wie an den schönsten Tagen im Frühjahr.
    Und ich sitze in der wohlgeheizten Studierstube, leseunnötige Bücher, schreibe unnötige Artikel und habe unnötige Gedanken. Irgend jemand muß doch am Ende alle die Sachen lesen, die jahraus, jahrein geschrieben und verlegt werden, und da sonst es niemand tut, tue ich es eben, teils aus Interesse und Kollegialität, teils um mich dann als kritischen Schirm und Prellbock zwischen das Publikum und die Bücherlawine zu stellen. Viele von den Büchern sind auch tatsächlich schön und klug und des Lesens wert. Dennoch scheint mir zuweilen mein Tun überaus überflüssig und mein Wollen auf ganz falsche Ziele gerichtet.
    Manchmal, wenn es draußen schneit und stiebt, nehme ich träumerisch den Schweizer Baedeker zur Hand und betrachte mir das Kapitel Graubünden, sehe die Karten an, stelle mir aufatmend den Schneeglanz und die Sonnenbläue lachender Wintertage da droben in der Albulagegend vor und lege das Buch erst nach einem wehmütigem Blick auf die Sankt Moritzer Hotelpreise wieder weg. Hingegen, wenn es wärmt und überm See ein feuchter Föhnhimmel zwischen zartgrauen und bräunlichen Westwindwolken hervorgrüßt, dann trete ich häufig für einige Augenblicke ins Schlafzimmer, wo an der Wand die große Karte von Italien hängt, und streife mit begehrlichem Auge über den Po und Apennin hinweg, durch grüne toskanische Täler, an blau und gelben Strandbuchten der Riviera hin, schiele auch etwa nach Sizilien hinab und verirre mich dabei gegen Korfu und Griechenland hin. LieberGott, wie ist das alles nah beieinander! Und wie schnell kann man überall sein. Und pfeifend kehre ich in die Studierstube zurück, lese entbehrliche Bücher, schreibe entbehrliche Artikel und denke entbehrliche Gedanken.
    (Aus: »Reiselust«, 1910)
/ DAS MÄDCHEN SITZT DAHEIM
UND SINGT /
    Du weißer Schnee, du kühler Schnee,
Fällst du im fernen Land
Meinem Schatz in die braunen Haare,
Meinem Schatz auf die liebe Hand?
    Du weißer Schnee, du kühler Schnee,
Und hat er auch nicht kalt?
Sag, liegt er im weißen Felde
oder liegt er im dunklen Wald?
    Du weißer Schnee, du falscher Schnee,
Laß meinen Schatz in Ruh!
Was deckst du ihm denn die Haare
Und deckst ihm die Augen zu?
    Du falscher Schnee, du weißer Schnee,
Er ist ja gar nicht tot;
Vielleicht sitzt er gefangen
Bei Wasser und bei Brot.
    Vielleicht kommt er bald wieder,
Er kann schon draußen stehn,
Und ich muß mir die Tränen wischen,
Sonst kann ich ihn ja nicht sehn.
    // Nun war vier Nächte und drei Tage fast ununterbrochen Schnee gefallen, ein guter, kleinflockiger, haltbarer Schnee, und in der letzten Nacht war er glashart gefroren. Wer nicht täglich vor seiner Tür gefegt und geschaufelt hatte, war jetzt belagert und mußte zur Hacke greifen, um Hauseingang, Kellertor und Kellerluken freizulegen. So war es vielen im Dorf ergangen, und sie werkelten murrend vor ihren Häusern, in Schaftstiefeln und Fausthandschuhen und mit Wolltüchern um Hals und ohren gewickelt. Die Ruhigen freuten sich, daß der große Schnee vor dem Frost gekommen war und ihnen die bedrohten Wintersaatfelder schützte. Aber hier wie anderwärts sind die Ruhigen sehr in der Minderzahl, und die meisten schimpften weinerlich über den allzu harten Winter, rechneteneinander ihren Schaden vor und erzählten Schauergeschichten von ähnlich strengen Jahrgängen.
    Aber im ganzen Dorfe waren kaum zwei oder drei Leute, zu denen dieser wunderbare Tag nicht von Sorgen und Ärger, sondern viel mehr von Freuden, Glanz und Gottes Herrlichkeit sprach. Wer irgend konnte, der blieb in Haus und Stall, und wer etwa hinausmußte, der wickelte Frostlappen um Kopf und Seele und ließ seine Sehnsucht keine anderen Wege gehen als zurück zur verlassenen ofenbank, wo zwischen den grünen Kacheln die gegossene eiserne Wärmeplatte glühte. Und doch war es ein Tag, den die Stadtleute keinem Maler glauben würden, viel jubelnder, blauer und blendender als der lachendste Hochsommertag.
    Der Himmel stand rein und blau bis in unendliche Fernen offen, die Wälder schliefen unter dickem Schnee, die Berge blendeten wie Blitze oder leuchteten rötlich oder hatten lange, märchenblaue Schatten an, und zwischen allem lag glasgrün der noch nicht gefrorene See spiegelhell in der Nähe, und in der Ferne dunkelblau und schwarz, von glänzenden schneeweißen Landzungen rings
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