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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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unter meiner völligen Gewalt. Sie befinden sich in internationalen Gewässern. Diese Plattform ist Eigentum einer Firma, deren Hauspolitik es ist, daß auf aggressive Eindringlinge, bewaffnet oder nicht, sofort geschossen wird. Zweitens: ich werde in der Aufzugskabine gleich Licht machen. Ich möchte, daß sie sich dann nackt ausziehen, die Kleider in eine Ecke legen, ihr Gepäck in eine andere, und daß Sie die Hände hoch ausgestreckt von ihrem Körper weghalten. Sollte irgendeine dieser Bedingungen nicht erfüllt sein, wenn die Aufzugskabine hier oben ankommt, werde ich ohne Vorwarnung schießen. Sind Sie damit einverstanden?«
    Während seiner letzten Worte hatte es so geklungen, als reiße sich der Fremde die Kleider vom Leib, nun dauerte es eine Weile, bis er auf eine seltsam keuchende Art »Ja! Ja!« sagte, er schrie es eigentlich eher. Eddie machte Licht. Der Mann war schon so gut wie nackt. Er konnte das schlecht einschätzen, aber der Mann machte weder einen sehr durchtrainierten noch einen furchtbar aggressiven Eindruck. Er war eher klein, dunkelhaarig (Halbglatze) und hatte einen leichten Bauchansatz. 43, höchstens 45. Brillenträger. Der Fremde hielt mit den Händen seine Schamgegend bedeckt. Sein Gesicht zeigte ein seltsames Gemisch aus Angst, Resignation und Ungeduld.
    »Nehmen Sie Ihre Hände hoch. Nachdem Sie Ihre Brille zu ihrem Gepäck gelegt haben.«
    Der Fremde tat, was Eddie ihm befohlen hatte.
    »Stellen Sie sich an die Wand.«
    Der Fremde hatte mittlerweile das Suchen nach der Vicomanlage aufgegeben. Er zuckte ein wenig vor der Kälte der metallenen Kabinenwand zurück.
    Jetzt mußte sich Eddie entscheiden. Er betätigte den »Auf«-Knopf.
     
    Blauer Himmel. Möwen in üblicher Entfernung. Kaum Seegang, kaum Eigenbewegung der Plattform. Eddie sah über das Korn hinweg den Mann an, der bleich und teigig wie ein Pudding fünf Meter von ihm entfernt im Eingang des Aufzugs stand. Der Fremde schien mit allem einverstanden. Er erhob keine Ansprüche. Er schien nicht einmal mehr so ängstlich wie zu Beginn. Als sei ihm wohler in Eddies leibhaftiger Anwesenheit. Und das, obwohl Eddie mit seiner Knarre, der Bildschirmaugenklappe, den strohblonden Rastahaaren, und dem T-Shirt mit der Aufschrift Rastapunks unite! einen möglichst gewaltbereiten Eindruck machen wollte. Vielleicht konnte der Fremde nicht lesen, was auf seinem T-Shirt stand. Vielleicht mochte er Leute wie Eddie. Vielleicht kannte er Eddie etwa schon. Und das war das beunruhigendste vielleicht von allen. Eddie entschied sich für ein Ablenkungsmanöver.
    »Wer hat die Eisenbahn erfunden?«
    Zu Eddies Befriedigung runzelte der Nackte verwirrt die Stirn.
    »James Watt?« fragte er zweifelnd.
    »Falsch. Wieviel ist die dritte Wurzel aus 1056,2?«
    »Weiß ich nicht«, sagte der Mann verzweifelt, und Eddie freute sich, daß seine Taktik Früchte zeigte.
    »Falsch!« heulte Eddie. »Wer führt in der deutschen Fußballbundesliga?«
    »Dynamo Dresden?« Verzweiflung, die in Panik umschlug.
    »Ganz falsch. Total falsch. Aber ich gebe Ihnen noch eine Chance. Eine allerletzte, und dann können Sie anfangen mit Beten. Die exakte Regierungszeit von Ramses dem III. und seine drei Hauptfrauen. Nebenfrauen will ich nicht wissen, Sie haben zehn Sekunden Zeit. Die Uhr läuft.«
    Eddie konnte jetzt sehen, daß der Fremde schwitzte, obwohl er nackt war. Im Grunde mochte Eddie dieses Spiel nicht besonders, obwohl er sich ein nicht ganz unangenehmes Machtgefühl angesichts der Tatsache eingestehen mußte, daß er dieses Aktentaschenarschloch so an der Nase herumführte. Eines von der Sorte, die ihn sonst nur mit gespitzten Fingern anfaßten. Nun gut, er wollte vor allem eines im Gehirn des anderen verankern: daß er nicht ganz sauber im Kopf sei. Etwas Beeindruckenderes außer dieser Finte und seinen Gewehren hatte er nicht zu bieten. Noch eine einzige Draufgabe. Eddie spannte einen Hahn.
    »Hören Sie …«, wimmerte der Mann.
    »Nein, Sie hören jetzt. Ich habe mir das anders überlegt. Ich erschieße Sie erst später. Unter einer Voraussetzung. Sie werden folgendes tun. Zuerst nehmen Sie langsam Ihre Hose, krempeln die Taschen um und werfen Sie dann ein paar Meter weit weg. Dann dasselbe mit all Ihren Klamotten. Alles was Taschen hat. Zuletzt werfen Sie Ihre Brille auf den Kleiderhaufen. Dann öffnen Sie Ihre Aktentasche und packen alles aus, was darin ist. Stück für Stück. Alle Verpackungen entfernen. Wenn die Aktentasche leer ist, werfen Sie sie
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