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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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aufgegeben, das Gewehr wog zu schwer in der Beuge seines rechten Arms. Der Fremde hatte am richtigen Pfeiler fest gemacht, an dem mit dem Lastenaufzug, also kannte er sich mit Windplattformen aus. Der Wasserläufer kroch nun wie eine langsame Spinne an dem Pfeiler hinauf, um seinen Piloten möglichst nahe an die Luke zum Aufzug zu bringen. Unter dem milchigen Glas der Kanzel war undeutlich eine menschliche Gestalt zu erkennen. Der Wasserläufer hielt an der richtigen Stelle. Wenn Eddie jetzt den Aufzug herunterließ, konnte man mit ein wenig Übung sicher von der Kanzel des Fahrzeugs in den Aufzug überwechseln, man konnte aber auch zehn Meter tiefer auf der Oberfläche der Nordsee aufklatschen, vor allem dann, wenn man von einer Ladung Elefantenschrot durchlöchert worden war. Das Problem bestand darin, daß Eddie a) definitiv nicht zur gewaltförmigen Lösung von Problemen neigte, b) im Gegensatz zu seinen sonstigen Rückzugstendenzen bisweilen extrem neugierig war und c) absolut keinen geeigneten Schußwinkel finden konnte, weil nämlich die Plattform mehrere Meter über ihre Auflage überkragte und deswegen den Fremden im Moment ziemlich wirksam vor Eddies Schrot schützte. Das Vicom zeigte nun seit einigen Minuten einen bewegungslosen Wasserläufer, der an Pfeiler C der Windplattform Bravo West (Impact Offshore Engineering AG / Siemens / NEW) herumhing und in dessen Kanzel offenbar jemand wartete. Eddie zappte sich durch die verschiedenen Kanäle, er wollte doch mal nachsehen, ob der Fremde nicht vielleicht noch ein paar Kumpels mitgebracht hatte. Auf diese Art war nämlich Bravo Ost vor drei Monaten von militanten Ökos besetzt und zu Dreivierteln demontiert worden, nachdem der dort zuständige Windenergieanlagenmechaniker unter die Fische gegangen worden war. Aber das Vicom zeigte nur Normalzustände. Graue Strukturen mit aufgemalten gelben Markierungen, blinkende Signalfeuer, ein leerer und autonom vor sich hin funktionierender Instrumentenstand, sauber getrimmte Ballasttanks, alles in Ordnung. Bis auf Pfeiler C. Wenn der Kerl unbedingt wollte, konnte er dort kleben bleiben bis zum Sanktnimmerleinstag, es sei denn, Eddie fuhr herunter und kratzte ihn höchstpersönlich ab. In dem Aufzug war zwar Platz für drei, aber fürs erste wollte er vor diesem Fremden mindestens fünf Meter Abstand, dafür war im Aufzug kein Platz. Da schien es ihm doch sicherer, den Aufzug hinunterzuschicken, und den Kerl auf diese Art vor das andere Ende seiner Flinte zu holen, denn hier oben war er wirklich am Drücker, wenn es sein mußte, und nicht umgeben von Querschlägerstahl. Eddie ließ den Aufzug herunter. Er hatte einen Plan.
     
    Während der Aufzug hinabfuhr, fielen Eddie all die Betriebsvorschriften ein, die er jetzt schon mißachtet hatte, denn unter Normalumständen war es ihm überhaupt nicht gestattet, unidentifizierten Fremden zu der Plattform Zutritt zu gewähren. Der Grund für Eddies Bewaffnung lag in dem geradezu neurotischen Mißtrauen seiner Chefs unidentifizierten Fremden gegenüber, sie hatten eben schon zu viele ihrer Einrichtungen an militante Ökos verloren. Es hallte als der Aufzug unten einrastete. Auf dem papierdünnen Bildschirm, der Eddies linkem Auge die Vicom-Einspielungen zeigte, sah er den Fremden seinem Wasserläufer entsteigen und über einen fußbreiten Steg in das Innere des Aufzugs, nun ja, torkeln? Da war eine gewisse Unsicherheit gewesen, aber sie hatte nicht ausgereicht, den Fremden ins Meer zu stoßen. Der Fremde hatte Gepäck dabei. Eddie zuckte noch einmal vor dem Tastenfeld des Aufzugs zurück. Er hörte den Fremden in der dunklen und engen Kammer des Aufzugs atmen, als habe er sich sehr angestrengt.
    »Hören Sie …«, sagte Eddie.
    »Ja!?« antwortete der Fremde, und an dem Scharren seiner Füße konnte man hören, daß er sich dem Mikrofon und der Kamera zuwenden wollte, von der er sich in dem dunklen und engen Kabuff belauscht und beobachtet fühlte.
    Eddie hingegen versuchte seine eigene Nervosität unter Kontrolle zu halten, Nervosität verstärkte sein Lispeln, das wiederum verstärkte in Streßsituationen seine Nervosität. Er wollte aber auch nicht tief durchatmen, das hätte dem Fremden etwas über seine Angst erzählt. Sein rechter Arm tat weh.
    »Hören Sie. Ich darf Sie nicht hier herauflassen. Ich tue es aber trotzdem. Wenn Sie hier oben durch die Tür des Aufzugs treten, möchte ich, daß Sie ein paar Dinge beachten. Erstens: Sie stehen hier oben legal wie faktisch
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