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Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten

Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten

Titel: Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
Autoren: Dorothy L. Sayers
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entstanden sind. Sehen Sie mal, hier – und hier.»
    Der Doktor drehte die Leiche um, damit man die fraglichen Stellen sehen konnte. Der Körper ließ sich an einem Stück drehen, obwohl er so verrenkt und zusammengekrümmt war, als ob er mitten in dem Versuch erstarrt wäre, das Gesicht vor den grausamen Zähnen der Felsbrocken zu schützen.
    «Aber der eigentliche Schlag war hier», fuhr der Arzt fort und führte Wimseys Hand an Campbells linke Schläfe, wo der Knochen unter dem sanften Druck von Wimseys Fingern nachgab.
    «Die Natur hat das Gehirn an dieser Stelle schlecht geschützt», bemerkte Dr. Cameron. «Der Schädelknochen ist hier so dünn, daß ihn schon ein leichter Schlag zerbrechen kann wie eine Eierschale.»
    Wimsey nickte. Seine langen, feinen Finger tasteten behutsam Kopf und Glieder des Toten ab. Der Arzt sah ihm anerkennend zu.
    «Mann», sagte er. «Sie wären ein guter Chirurg geworden. Die Vorsehung hat Ihnen die Hände dafür gegeben.»
    «Aber nicht den Kopf», lachte Wimsey. «Ja, er hat ganz schön was abgekriegt – was mich nicht wundert, wenn einer so mit Volldampf hier heruntersaust.»
    «Das ist eine gefährliche Stelle», meinte der Sergeant. «Nun, Doktor, ich glaube, wir haben hier unten alles gesehen. Bringen wir jetzt die Leiche zum Wagen rauf.»
    «Ich gehe wieder nach oben und schau mir mal das Bild an», sagte Wimsey. «Oder kann ich vielleicht tragen helfen? Ich will nur nicht im Weg stehen.»
    «Nee, nee», meinte der Sergeant. «Vielen Dank für das Angebot, Mylord, aber wir schaffen’s schon allein.»
    Der Sergeant und ein Konstabler bückten sich und packten die Leiche. Wimsey wartete noch kurz, um zu sehen, ob sie wirklich keine Hilfe brauchten, dann stieg er wieder den Felsen hinauf.
    Oben sah er sich das Bild zum erstenmal genauer an. Es war mit rascher Hand gemalt, noch ohne die letzten Feinheiten, doch auch so schon recht eindrucksvoll, kühn in der Flächenaufteilung und im Wechsel von Licht und Schatten, die Farben dick mit dem Spachtel aufgetragen. Es zeigte eine sonnige Morgenlandschaft – Wimsey erinnerte sich, daß Campbell kurz nach zehn beim Malen gesehen worden war. Die steinerne Brücke lag kühl und grau im goldenen Licht, davor die gelben und roten Beeren einer Eberesche – ein gutes Mittel gegen Hexerei –, sich spiegelnd als bunte Tupfer im Braun und Weiß des tosenden Wassers. Links stiegen die Berge in nebligen Blautönen zum dunstigen Himmel empor, und vor dem Blau leuchteten prächtige goldene Farne, in dicken Klecksen von reinem Rot und Gelb auf die Leinwand geworfen.
    Ohne bestimmte Absicht nahm Wimsey Palette und Spachtel von dem Schemel, auf dem sie lagen. Campbell kam beim Malen offenbar mit wenigen Farben aus, und das gefiel ihm, denn er sah es gern, wenn mit ökonomischem Einsatz der Mittel ein reiches Resultat erzielt wurde. Auf dem Boden lag eine alte Tasche, die offenbar schon lange im Dienst war. Mehr aus Gewohnheit denn in Erwartung eines interessanten Fundes nahm er sich den Inhalt dieser Tasche vor.
    Im Hauptfach fand er ein kleines, noch halbvolles Fläschen Whisky, dazu ein dickes Glas und ein Päckchen Käsebrote, acht Pinsel, eingewickelt in ein ausgefranstes Leinentuch, das einmal ein Taschentuch gewesen war und nun ein schmachvolles Dasein als Farblumpen fristete, ein Dutzend lose Pinsel, noch zwei Spachtel und einen Schaber, alles im trauten Verein mit einer Anzahl Farbtuben. Wimsey breitete sie nebeneinander auf dem Granitboden aus wie eine Reihe kleiner Leichen.
    Es waren: eine Halbpfundtube Zinnoberrot, neu, sauber und fast unbenutzt; eine Ateliertube Ultramarin Nr. 2, halbvoll; eine Ateliertube Chromgelb, fast voll, und eine zweite, fast leer; eine Halbpfundtube Chromgrün, halbvoll; eine Ateliertube Kobaltblau, dreiviertel leer; eine sehr schmutzige Tube ohne Etikett, die schon manche Schlacht hinter sich zu haben schien, ohne viel von ihrem Inhalt verloren zu haben. Wimsey schraubte den Verschluß ab und identifizierte den Inhalt als Karmesinrot. Schließlich fanden sich noch eine fast leere Ateliertube Krapprosa und eine Halbpfundtube Zitronengelb, halb aufgebraucht und sehr schmutzig – Wimsey betrachtete die Kollektion ein Weilchen, dann griff er voll Zuversicht erneut in die Tasche. Aus dem Hauptfach kam jedoch außer ein paar verdorrten Stengeln Heidekraut und ein paar Tabak- und Brotkrümeln nichts mehr zum Vorschein, und so nahm er sich die beiden Nebenfächer vor.
    Im ersten fand er zunächst eine Rolle
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