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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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gemurmelte Antwort.
    Der Aufzug ruckte an, und die hell erleuchtete dritte Ebene verschwand über unseren Köpfen. Ich schaute in die gähnende schwarze Leere der Halle.
    Ein Stoß in den Rücken riss mich über das Gitter. Ich schrie. Aber ich fiel nicht. Meine rechte Hand hatte einen Gitterstab gepackt. Jetzt fand auch die linke Halt. Der Körper war ganz leicht. Noch.
    Durch die rechte Hand zuckte ein stechender Schmerz. Etwas zerquetschte meine Finger.
    »Gabi, bitte!«, brüllte ich nach oben.
    Ihr Kopf tauchte über dem Gitter auf. Der Mund öffnete sich und formte ein Wort: »Verschwinde!«
    Ich schaute nach unten. Weit, sehr weit unten sah ich das Straßenstück mit der Hausfassade, ein Stück rechts davon das Wohnzimmer der lebenslustigen Frauen. Es war, als hinge ich an der Kante des Zehnmeterbrettes im Schwimmbad. Nur, dass jemand das Wasser aus dem Tauchbecken abgelassen hatte.
    Wieder trat Gabi auf meine Hand. Ich schaute zur Seite. Einen Meter rechts von mir und zwei Meter tiefer befand sich die zweite Ebene. Mit etwas Schwung konnte ich es schaffen.
    Ein erneuter Fußtritt erhöhte meine Entschlussfreudigkeit. Ich schwang so gut das ging, ließ los, streckte das linke Bein aus, bekam Halt unter dem Fuß, drückte mich nach vorn.
    Irgendein Band im linken Knöchel überdehnte sich, was einen erneuten Stich verursachte, aber ich hatte festen Boden unter den Füßen und Händen. Ich krabbelte vorwärts. Da knallte es, und ein Stück Hemdärmel flog davon, zusammen mit einem Fetzen Haut. Ich drehte mich um. Gabi beugte sich über das Gitter des Aufzugs und hielt eine Pistole in beiden Händen.
    Ich ließ das Krabbeln und sprang, rannte, hüpfte auf dem gesunden Bein – in das Wohnzimmer des schwulen Galeristen. Wieder bellte die Pistole. Neben meinem Knie platzte das Polster des rosafarbenen Sofas.
    Mit einem Kopfsprung tauchte ich hinter das Sofa, rollte mich ab, krabbelte mal wieder ein Stück. Außer dem Aufzug, so hoffte ich, musste es noch einen zweiten Weg nach unten geben, am liebsten eine Treppe, auf deren Geländer ich hinunterrutschen konnte.
    Die Flasche auf der Kommode über mir gab mit einem Knall ihre feste Form auf und berieselte mich mit Glasscherben. Meine Ohren dröhnten. Durch die Ballerei konnte ich keine Geräusche mehr unterscheiden. War Gabi schon auf der zweiten Ebene, oder noch nicht? Auf jeden Fall musste ich raus aus dem tödlichen Rampenlicht.
    Ich krabbelte um die Kommode und eine Pappwand herum. Hier herrschte ein diffuses Halbdunkel. Ich richtete mich auf. Tatsächlich, in etwa zwanzig Meter Entfernung entdeckte ich eine Treppe. Der Lauf über das Kabelgewirr und um die Kameras und anderen Geräte herum war die reine Folter. Der Knöchel fühlte sich an, als ob jemand mit einem Messer darin herumstechen würde, der Arm brannte, und der Schweiß lief mir in die Augen. Ich hätte heulen können, wenn mir Gabi dazu die Zeit gelassen hätte. Tat sie aber nicht.
    Als ich die Treppe erreichte, knallte es schon wieder, und das Metallgeländer summte wie ein Bienenschwarm. Mein Glück, dass Gabi so mäßig zielte.
    Ich kullerte mehr, als dass ich sprang die Treppe hinunter, rappelte mich hoch, hüpfte durch das Wohnzimmer der männerverschleißenden Frauen, an der Hausfassade vorbei. Vor mir lag die Tür zur Freiheit. Oder das Ende. Denn draußen, im hellen Sonnenlicht, würde ich eine hervorragende Zielscheibe abgeben.
    Stehen bleiben kam trotzdem nicht infrage. Aus Gründen, über die ich nicht nachdachte und die wohl alle aus fünf Buchstaben bestanden: Angst.
    Im Lichtkorridor merkte ich, dass meine Kräfte nachließen. In meinem Kopf war es fast genauso dunkel wie um mich herum. Meine einzige Hoffnung war eine Gruppe von Schauspielern, die vor der Tür eine Zigarettenpause machten.
    Ich riss die Tür auf, das Sonnenlicht stach mir in die Augen, meine Knie waren hart wie Gummi. Ich ging zu Boden.
    »Immer diese Alleingänge«, sagte eine Stimme über mir. »Warum konntest du nicht auf mich warten?«
    Ich erkannte Stürzenbechers rechthaberischen Tonfall. Die natürliche Überlegenheit eines Polizisten, der zuguckt, wie sich ein Amateur im Staub wälzt. Ich wollte widersprechen, spuckte aber nur Blut oder Wasser oder beides.
    »Los!«, kommandierte Stürzenbecher. »Geht rein! Aber seid vorsichtig! Sie ist bewaffnet.«

XIX
    Der Zug ruckte an, und auf dem Bahnsteig blieben die allsommerlichen Schnorrer zurück, die gerade ihr Portemonnaie verloren oder ihr letztes Geld ausgegeben
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