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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Autoren: Juergen Kehrer
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nach dem fünften Klingeln meine sonore Stimme melden und dem Anrufer erzählen würde, dass er das Privatdomizil von Georg Wilsberg angebimmelt und genügend Zeit habe, seine Nichtigkeiten auf Band zu sprechen. Komischerweise war ich fest davon überzeugt, dass nur ein Mann die Frechheit besaß, um (ich schaute auf die Uhr) vier Uhr morgens bei mir anzurufen.
    Ich wartete nicht ab. Zum einen, weil die Ereignisse des vergangenen Tages mir einen sowieso nur unruhigen Schlaf gegönnt hatten, zum anderen, weil mich das dunkle Gefühl beschlich, dass der Anruf etwas mit ebendiesen Ereignissen zu tun haben musste.
    Es war eine Frau. Eine unbekannte obendrein. Sie sagte: »Bist du bereit?«
    »Wozu?«, fragte ich.
    »Uns zu treffen. Wir wollen etwas mit dir besprechen.«
    Ihre Stimme hatte einen angenehmen, warmen Klang, und das umstandslose Du schloss mich bereits in den Kreis der hunderttausend Gerechten ein.
    »Wenn du mir verrätst, wer ihr seid und was dich auf die hirnrissige Idee bringt, mich um vier Uhr morgens zu wecken.«
    Sie lachte. »Jan van Leiden. Sagt dir das was?«
    »Ja. Aber du hast meine zweite Frage nicht beantwortet.«
    »Sei nicht so hartnäckig«, tadelte sie mich. »Wir haben unsere Gründe.«
    Ich knirschte mit den Zähnen und nannte mir selbst einen fünfstelligen Grund, nicht weiter herumzumeckern.
    »Also gut«, lenkte ich ein. »Wann und wo?«
    »In einer halben Stunde am Hawerkamp. Kennst du das alte Industriegelände, auf dem sich jetzt Künstlerateliers und Discos befinden? Warte einfach, bis wir dich ansprechen.«
    Bevor ich dazu kam, einen Gegenvorschlag zu machen, war die Leitung tot.
    Selbst tagsüber ist das Hawerkampgelände so unwirtlich, dass sich nur die Freaks dorthin verirren. Nachts und Ende Februar könnte es glatt als Kulisse für einen Postatomkriegsfilm herhalten. Ich verstand, wie sich Blade Runner Rick Deckard (alias Harrison Ford) gefühlt haben musste, als er in den verlassenen Vororten von Los Angeles den Nexus-6-Androiden nachjagte. Immerhin, die Nexus-6-Typen waren kälteunempfindlich, und Deckard hatte eine Laserkanone in der Tasche, beides Vorteile, die ich schmerzlich vermisste, als ich bei zwei Grad Minus auf dem brüchigen Asphalt hin- und herging, mir die vom Zahn der Zeit und von Abbruchfirmen ausgeschlachteten Industrieruinen anguckte und bei jedem metallischen Knarren (davon gab es reichlich) zusammenzuckte.
    Langsam kroch die Kälte in mir hoch, unterhalb der Knie war sowieso schon alles taub. Nicht mal einen Gully, aus dem warmer Dampf quoll, gab es hier. So was kennt man nur in der Ex-DDR und aus Filmen von Ridley Scott (der auch den Blade Runner gemacht hat).
    Eine Stunde lang war ich der einsamste und verfrorenste Mensch von Münster. Dann sagte ich mir, dass mich die Wiedertäufer, speziell solche mit angenehmen Frauenstimmen, mal kreuzweise können, und strebte mit dem Gedanken an einen warmen Kakao in einem warmen Bett meinem Auto entgegen.
    Zwanzig Meter von meinem entfernt parkte ein anderer Wagen, der dort vorhin noch nicht gestanden hatte. An den beschlagenen Fenstern erkannte ich, dass etwas Menschliches im Inneren sein musste. Entweder ein auf Extremerlebnisse versessenes Liebespaar oder …
    Die Tür ging auf, und Stürzenbecher putzte sich die Nase. Mit gemächlichen Schritten kam er zu mir herüber.
    »Schöner Morgen, nicht?«, sagte ich mit klappernden Zähnen. »Was machst du hier? Frühsport?«
    Er nieste. »Ich hole mir den Tod. Das war das Letzte, was mir zur Lungenentzündung fehlte.«
    Er sagte das irgendwie vorwurfsvoll, was mich zu der Bemerkung veranlasste: »Ist das etwa meine Schuld?«
    Ein anderer Kerl schälte sich aus dem Wagen und rief: »Soll ich die Jungs abziehen?«
    »Schick sie nach Hause!«, brüllte Stürzenbecher zurück. »Sie sollen sich ausschlafen.«
    Ich begriff. »Ihr habt das Gelände überwacht. Du hast gedacht, du kannst die Leute schnappen, die die Anschläge gemacht haben.«
    Stürzenbecher schnüffelte.
    »Moment mal«, fuhr ich fort, »mir ist niemand gefolgt, da bin ich ganz sicher. Also hast du mein Telefon abgehört. Verdammter Mistkerl.«
    »Na, na«, brummte Stürzenbecher. »Was sollten wir denn machen? Du bist unsere einzige Spur.«
    »Scheiße!«, fluchte ich. »Du hast alles vermasselt. Deshalb habe ich hier eine Stunde in der Kälte herumgestanden. Lass mich raten: An allen Zufahrtsstraßen standen Polizeiwagen mit rotierendem Blaulicht?«
    Stürzenbecher kramte in seiner Tasche und förderte
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