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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Autoren: Andrew Blackwell
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späten Nachmittag zum Frisbeespielen, Bongotrommeln und Biertrinken im Schein der untergehenden Sonne treffen.
    Das alles machte mich wahnsinnig nervös. Ich mag es einfach nicht, ein ahnungsloser Ausländer in einer fremden Stadt zu sein, in der ich niemanden kenne. Außerdem hatte ich Probleme, einen tragbaren Strahlungsdetektor für meinen Ausflug in das Sperrgebiet rund um Tschernobyl zu bekommen. Der Detektor wäre praktisch, um mit höchster Präzision und in Einheiten, die mir nichts sagen würden, meine Strahlenbelastung zu messen. Aber Amazon lieferte nicht per Express nach Kiew, also musste ich mir etwas einfallen lassen: Ich musste jemanden finden, der das für mich regeln konnte.
    Wenn wir als Journalisten etwas lernen, dann, dass Einheimische eine mächtige Waffe gegen unsere eigene Nutzlosigkeit und Unfähigkeit sind. In meinem Fall hieß diese Waffe Olena und war eine fähige junge Absolventin der Journalistenschule. Anfangs skeptisch, ging ihr schnell auf, dass ich nicht daran interessiert war, die Katastrophe erneut durchzukauen, sondern neue touristische Horizonte zu erschließen, und bald freundete sie sich mit dem Konzept an. Olena machte sich daran, einen Strahlungsdetektor aufzutreiben, und rief eine Tschernobyl-Behörde nach der anderen an. Zu unserer Überraschung wusste niemand etwas. Nicht einmal in der staatlichen Behörde Tschernobyl-Interinform hatten sie eine Idee. Die Einwohner Kiews legten offenbar keinen großen Wert darauf, die Strahlung zu messen. Vielleicht wollten sie auch einfach nur nicht darüber nachdenken, was da ein Stück flussaufwärts lag.
    Möglicherweise zeugt diese vorsätzliche Unwissenheit aber auch von Weisheit. Strahlung ist schließlich so geheimnisvoll, und ihre Einheiten und Messwerte sind so verwirrend, dass das Herumtragen eines kleinen piependen Gerätes im Endeffekt wohl auch keine verwertbaren Informationen zur eigenen Sicherheit gibt.
    Dennoch sollte jeder Tschernobyl-Besucher mit Strahlung und Strahlenmessung einigermaßen vertraut sein. Wiederholen wir also die Grundlagen. Wenn Sie wollen, können Sie diesen Abschnitt natürlich überspringen, aber dann verpassen Sie den Teil, in dem ich Ihnen diesen einen abgefahrenen alten Trick verrate, wie man sich vor Gammastrahlen schützt.
    Strahlung, mit der sich Touristen auseinandersetzen sollten, gibt es in drei Geschmacksrichtungen: Alpha, Beta und Gamma. Eine Strahlenquelle sind instabile Atome – das sind dieselben, die beim Aufbau eines Reaktorkerns so nützlich sind. Im Gegensatz zu leichteren, vertrauenswürdigeren Elementen wie Eisen oder Helium suchen unangenehm beleibte Elemente wie Uran oder Plutonium immer nach Gelegenheiten, etwas von sich loszuwerden. Das heißt, sie sind radioaktiv. Diese instabilen Elemente verlieren ab und zu Masse in Form von Alpha- oder Betateilchen oder Gammastrahlen – letztere sind die Fiesen. Durch diesen Prozess – Zerfall genannt – wird das Atom leichter und bekommt manchmal einen anderen Namen, weil es sich auf diesem Weg wie durch Zauberei von einem radioaktiven Element in ein anderes verwandelt.
    Gelegentlich bricht so ein Atom vollkommen zusammen und teilt sich. Diesen Vorgang nennt man Spaltung . Nach der Spaltung werden Teilchen und Gammastrahlen in alle Richtungen gespien und zwei Atome eines leichteren Elements bleiben übrig.
    Doch dazu später mehr. Der Punkt ist, aufgrund von Zerfall, Spaltung und anderen Ursachen schwirrt die ganze Zeit Strahlung um uns herum und durch uns hindurch. Da ist zum einen der Zerfall natürlich vorkommender Atome auf der Erde, zum anderen schießen kosmische Strahlen aus dem All auf uns nieder (hoch oben im Flugzeug bekommt man eine höhere Dosis ab), dann gibt es noch die Röntgenstrahlen beim Zahnarzt und so weiter. Wir werden ununterbrochen bestrahlt. Kein Grund zur Beunruhigung: Strahlung kann zwar Ihre Haut verbrennen, Krebs verursachen und Zellfunktionen stören, aber dazu braucht es viel davon.
    Und das ist das Problem. Was ist viel? Vorherzusagen, wie stark der Sonnenbrand nach einem Tagesausflug an den Strand sein wird, ist schon schwierig, und da haben wir es nur mit den guten alten Sonnenstrahlen zu tun. Die einzige Hoffnung, bei radioaktiver Strahlung einen Anhaltspunkt zu bekommen, ist der Strahlungsdetektor. Und selbst mit einem Detektor ist man oft auch nicht viel schlauer wegen des verwirrenden Spektrums an Begriffen und Einheiten, mit denen Strahlung und Strahlenbelastung gemessen werden, all den Rad und
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