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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Autoren: Andrew Blackwell
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sehr wichtig, diesen Müll nicht offen herumliegen zu lassen, damit er nicht vom Wind hochgewirbelt und mitgetragen wurde oder auf andere Weise seinen Weg aus der Zone fand. Der Job der Liquidatoren bestand darin, das alles aufzuräumen.
    Viele von ihnen waren hohen Strahlendosen ausgesetzt. Als Anerkennung ihrer Arbeit erhielten sie spezielle Papiere, die sie als Veteranen der Aufräumaktion nach der Katastrophe auswiesen. Sie hatten ein Recht auf bestimmte Vergünstigungen, unter anderem besondere medizinische Pflege und eine bevorzugte Behandlung bei der Verteilung von Wohnraum, doch diese Vergünstigungen waren abhängig von den Dosen, die jeder einzelne Liquidator abbekommen hatte, davon, wie früh nach dem Unfall er dort angekommen war und wie lange er in der Zone gearbeitet hatte. Ein neues Chaos entstand – ein staatliches diesmal. Das System war durchsetzt von Schlupflöchern, inkonsequent in der Vergabe von Vergünstigungen und großzügig bei Gelegenheiten zur Korruption.
    Volod erzählte uns, er habe kein solches Papier erhalten. Er sei weder lange noch früh genug in der Zone gewesen. Er wollte nicht darüber sprechen.
    Wir waren eine gute halbe Stunde von Karawajewi Datschi entfernt, als er einen Schrei ausstieß. Da war er, der sagenumwobene Detektorladen, in einer schmalen Reihe von Geschäften im Erdgeschoss eines Bürogebäudes. Siegesgewiss betraten wir ihn.
    Mit seiner unermüdlich laufenden Klimaanlage und dem makellosen Kachelboden hob der Laden sich deutlich von dem schmutzigen Labyrinth von Karawajewi Datschi ab. Sein Angebot war allerdings noch breiter gefächert. Als ich mich umblickte, sah ich Bildtelefone und Sicherheitskameras neben einem Regal mit Bastelpapier, Malbüchern und Buntstiften. Hinter uns befand sich eine Plastikoase aufwendig gestalteter Gartenbrunnen in Form von Baumstümpfen. Allmählich meinte ich eine ukrainische Begabung zum Eklektizismus zu erkennen.
    Und es gab tatsächlich Strahlungsdetektoren. PADEKC stand als Markenname auf der Verpackung. NHDNKATOP PADNOAKTNBHOCTN . Das Gerät war ein kleiner weißer Plastikkasten mit einer Digitalanzeige und drei runden Knöpfen. Es sah aus wie ein frühes iPod-Modell, wenn PADEKC iPod-Hersteller gewesen wäre. Schlicht und stylish, war es wie gemacht für hippe, junge Berufstätige unterwegs in das Gebiet einer nuklea ren Katastrophe. Leonid – der Verkäufer – versicherte mir, dass das Gerät nicht nur Gamma-, sondern auch Alpha- und Betastrahlung messen könne. (Leonid hat gelogen.)
    Er schaltete es an. »Russisches Fabrikat«, sagte er. Wir scharten uns um ihn. Das Gerät piepte ein paar Mal unsicher, dann leuchtete eine 16 auf. Schien mir überzeugend. Ich berappte viel zu viele Hrywnia und warf den PADEKC in meinen Rucksack. Vor dem Geschäft bat Volod um etwas Geld. Ich hatte seinen Preis schon gefürchtet.
    »Sie sollten mir Wodkageld bezahlen«, sagte er ohne jede Ironie. »Eine gute Flasche kostet ungefähr zwölf Hrywnia.« Der Gegenwert einer Flasche Wodka in Dollar erschien ihm eine angemessene Entlohnung für eine Stunde Arbeit. Ich gab ihm zwanzig. Als er aufbrechen wollte, fragte ich ihn, ob er uns mehr über seine Zeit in Tschernobyl erzählen würde.
    Er hielt inne, wandte sich zu uns um, plötzlich viel größer.
    »Als ehemaliger sowjetischer Offizier kann ich das nicht«, sagte er. Und dann ging er seinen Wodka kaufen.
    *
    Das Problem mit Reaktor Nr. 4 war nicht so sehr, dass seine Sicherheitssysteme versagten – obwohl man das durchaus so sagen kann –, sondern dass einige dieser Systeme deaktiviert worden waren. Nun könnten Sie natürlich argumentieren, wenn man ein Atomkraftwerk mit einer Leistung von tausend Megawatt betreibt, sollte man niemals auch nur eines seiner Sicherheitssysteme abschalten, aber … es gibt kein Aber . Sie hätten recht.
    Diese Systeme wurden von einer Truppe übereifriger Ingenieure abgeschaltet, die einige Tests am Kraftwerk durchführen wollten, und glaubten, sie könnten das ohne Sicherheitsvorkehrungen tun. Am Abend des 25. April 1986 starteten sie das Experiment, mit dem sie herausfinden wollten, ob der Eigenbedarf des Reaktors an Energie bei einem Stromausfall durch die auslaufenden Turbinen gesichert werden könnte. Das ist in etwa so, wie wenn Sie Ihr Auto auf der Autobahn abwürgen und versuchen würden, seine Bewegungsenergie zu nutzen, um Strom zu erzeugen. Nur dass in diesem Fall ein gut zehn Meter hoher Stapel Kernbrennstoff beteiligt war.
    Auch mehrere
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