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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos
Autoren: Erwin Kohl
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nicht bemerken würde. Alibis vom Kontrahenten, ausgestellt vom Tatverdächtigen höchstpersönlich, würden von keinem Polizisten nachgeprüft werden.
    Anschließend nahm er sich die Aufzeichnungen vor. Gunther Trempe dürfte kein Problem darstellen, der alte Mann führte ein geradezu langweiliges Leben, verließ das Anwesen fast nie. Äußerst ungünstig, um ihm die Rolle des Mörders zukommen zu lassen. Dafür aber war Björn Dollinger geradezu prädestiniert. Er kam wie gelegen, um die zwingend notwendige Änderung des Modus Operandi durchzuführen. Als passionierter Jäger verfügte er nicht nur über eine Tatwaffe, die jedweden Zusammenhang mit den bisherigen Taten unmöglich machte, er war auch oft allein unterwegs. Er würde sich mit seinem ehemaligen Verteidiger in einem Café treffen. Als Vorwand könnte die Forderung nach einer möglichen Haftentschädigung dienen. Dollinger wird anspringen, wenn er auch nur den Hauch einer Verdienstmöglichkeit wittern würde, wusste Leon Bartram.
    Du mieses Schwein, dachte er. Nach der missglückten Hauptverhandlung, Dollinger hatte einen Tag zuvor das medienträchtige und damit werbewirksame Mandat eines Kindermörders erhalten, hatte er von einer Berufungsverhandlung dringend abgeraten. Auf dem Gerichtsflur hatte er Dollinger mit Staatsanwalt Thalbach gesehen. Sie machten Witze, während man ihn abführte. Sein einziger Hoffnungsträger zu diesem Zeitpunkt war Gunther Trempe gewesen. Aber dieser hatte es nicht einmal für nötig befunden, die Anschuldigungen gegen den Polizisten Dahlmann zu überprüfen. Das Wort eines mutmaßlichen Mörders gegen das eines Polizisten war für den Kriminalbeamten nicht mehr wert gewesen als der Wetterbericht vom Vortag. Leon ärgerte sich, nicht daneben stehen zu können, wenn Dutzende kleiner Schrotkugeln die Botschaft der Rache überbringen würden.
    Leon Bartram nahm das Telefon und wählte Dollingers Nummer.
     
     

57
    Zum vierten Mal sah Joshua sich die Videoaufzeichnung des letzten Verhörs mit Ulrich Bartram an.
    »Machst du dir immer noch Vorwürfe?«
    »Nein, ich denke, du hast recht. Bartram hatte seine Situation überdacht und keinen anderen Ausweg gewusst.«
    Es entsprach nicht ganz der Wahrheit. Joshua spielte den letzten Satz Bartrams immer wieder ab, konzentrierte sich dabei weniger auf die Worte als vielmehr die Körpersprache. Bartram war sichtlich schockiert über diese Anschuldigung. Es war der Grund der Festnahme, er wusste es. Joshua gelangte immer mehr zu der bitteren Erkenntnis, dass Bartram alles für einen makabren Irrtum gehalten hatte.
    »Sieh dir das mal genau an.«
    Joshua drückte erneut den Startknopf, Karin stand hinter ihm. Wieder ertönte das blanke Entsetzen Bartrams:
    ›Was? 
Er
 muss dafür büßen … nicht ich … 
er
 muss … ins Gefängnis … für immer …‹
    »Das ist nicht gespielt und alles andere als ein Geständnis. Ein Schuldiger hätte an dieser Stelle seinen Anwalt verlangt.«
    »Bartram war Alkoholiker, der war nicht mehr Herr seiner Sinne.«
    Joshua schüttelte immer wieder den Kopf. Er schaltete das Gerät aus und nahm sich die Vernehmungsprotokolle der letzten Tage noch einmal vor. Dabei trieb ihn die Vorstellung, drei Menschen würden unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt werden; Opfer eines bis ins Detail perfekt ausgeklügelten Racheplans. Der Selbstmord Ulrich Bartrams passte nicht in dieses Schema. Er war in der Wohnung seines Bruders, warum hatte er nur das Medikament dort deponiert? Warum nicht die Messer? Warum waren die Griffe fein säuberlich abgewischt, nicht aber die Klingen? Warum hatte er Nordmann angerufen, weshalb sollte er freiwillig für weiteres Belastungsmaterial sorgen?
    Joshua rieb sich die Stirn. Je tiefer er eindrang, umso weniger Sinn ergab alles. Plötzlich traf ihn ein Gedanke wie der Schlag eines Hammers. Je mehr die Überzeugung wuchs, Ulrich Bartram könne womöglich unschuldig gewesen sein, umso mehr schwebte sein Vater in Lebensgefahr. Karin und Daniel waren damit beschäftigt, ihre Berichte vom Vortag zu verfassen. Joshua wurde es heiß, mit einer fahrigen Bewegung wischte er Schweiß von der Stirn. Irgendwo vor ihm in dem kaum überschaubaren Stapel von Papieren lag das eine entscheidende Detail, das sie übersehen hatten. Er musste es finden.
     
     

58
    Björn Dollinger war der Einladung bereitwillig gefolgt. Sie waren die einzigen Gäste auf der Gartenterrasse des Cafés in Mönchengladbach.
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