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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos
Autoren: Erwin Kohl
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Die Kellnerin brachte ein Glas Orangensaft für Leon Bartram sowie ein Kännchen Kaffee und ein Glas Mineralwasser für den Rechtsanwalt.
    »Das ist ja ein Ding. Sie glauben tatsächlich beweisen zu können, unschuldig verurteilt worden zu sein?«
    »Ja, allerdings.«
    »Dann steht Ihnen Haftentschädigung zu. Elf Euro pro Tag …«
    Leon verschluckte sich. Bevor man ihn aus dem Leben gerissen hatte, verdiente er ein Vielfaches davon in einer Stunde. Das Wort ›Entschädigung‹ klang in dem Zusammenhang wie blanker Hohn.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch.«
    »Also grob gerechnet«, Dollinger zückte einen Taschenrechner, »Haftentschädigung wird übrigens kalendertäglich gezahlt, also das macht 11 mal 365 mal 15, ja, das macht rund 60.000 Euro. Ein hübsches Sümmchen.«
    »Ein Jammer, dass ich nicht länger gesessen habe.«
    »Wie bitte … ach so, ein Scherz, ich verstehe. Ich benötige natürlich noch eine Unterschrift von Ihnen. Warten Sie, das Formular müsste ich in der Aktentasche haben.«
    Dollinger bückte sich nach der Tasche. In diesem Augenblick stieß Leon sein Glas um. Ein Schwall Orangensaft ergoss sich über den Tisch und floss über die Kante auf Dollingers Hose. Leon sprang erschrocken auf.
    »Entschuldigen Sie bitte, das ist mir so peinlich.«
    »Ähem … macht doch nichts.«
    Dollinger wischte mit einer Serviette die Hose trocken. Leon wollte ihm mit ungeschickten Bewegungen helfen.
    »Lassen Sie, Herr Bartram. Ich wollte den Anzug sowieso in die Reinigung bringen. Ich gehe mir nur rasch die Hände waschen, das Zeug klebt erbärmlich.«
    Leon wartete, bis Dollinger im Haus verschwunden war. Mit geübten Handgriffen schüttete er das Pulver in den Kaffee. Anschließend rührte er, nachdem er sich vergewissert hatte, unbeobachtet zu sein, vorsichtshalber um. Im Augenwinkel nahm er Dollinger wahr, der griesgrämig auf die Terrasse trat. Leon gegenüber lächelte er wieder, als ob nichts geschehen wäre.
    »Es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Die Reinigungskosten übernehme ich selbstverständlich.«
    »Nicht nötig, ich wollte die Sachen wie gesagt eh in die Reinigung bringen. Sagen Sie, welche Beweise existieren überhaupt für Ihre Unschuld?«
    »Beweise, nun es handelt sich vorwiegend um glaubhafte Zeugenaussagen.«
    Leon prostete Dollinger zu. Der Anwalt hob mit skeptischem Blick die Tasse. Trink endlich, flehte Leon innerlich, es gibt nicht viel, das ich dir erzählen könnte. Endlich trank Dollinger einen Schluck Kaffee.
    »Der Polizist Dahlmann war damals tatsächlich bestochen worden.«
    »Aha!«
    Dollinger nahm einen weiteren Schluck Kaffee, verzog leicht den Mund. Leon hatte gut ein Drittel zu viel von dem erlösenden Pulver in die Tasse gegeben. Er wollte kein Risiko eingehen. Jetzt musste er auf das Timing achten. Dollinger durfte nicht alles trinken, in diesem Fall würde er in einen Tiefschlaf versinken. Leon sah auf die Uhr. In einer Minute müsste eine erste Einflussnahme möglich sein.
    »Das können Sie beweisen?«
    »Ja. Durch die Aussage der Ehefrau. Sie hat nach dem Tod ihres Mannes Unterlagen gefunden, die eine Bestechung belegen.«
    »Das ist ja … ähem …«
    Dollinger lockerte die Krawatte, die Stirn schimmerte feucht.
    »Ziemlich warm heute.«
    »Trinken Sie, schnell.«
    »Ja.«
    Dollinger setzte die Tasse erneut an. Leon sprang auf und nahm sie ihm ab, bevor sie leer war. Er schob die Kaffeetasse zu sich herüber. Zeit für einen ersten Test.
    »Warum wollten Sie damals nicht in Berufung gehen?«
    Dollinger bekam einen Lachanfall. Leicht vornüber gebeugt hielt er die Hände auf den Bauch. Nach einer Minute hatte er sich weitestgehend beruhigt.
    »Weil du keine Patrone mehr im Colt hattest. Warum soll ich wochenlang nach Beweisen suchen, wenn ich einen viel besseren Fall habe. Nee, keine Lust. Außerdem hat dein Brüderchen mir ein hübsches Sümmchen gegeben, damit die leidige Sache… die leidige Sache, klasse«, er krümmte sich erneut vor Lachen, »endlich be… beendet wird.«
    Dieses miese Schwein und feige obendrein, fluchte Leon innerlich. Als sein Stiefvater ihm vor einer Stunde den Selbstmord des Bruders mitgeteilt hatte, ärgerte es ihn maßlos. Für Ulrich hatte er dasselbe Schicksal vorgesehen, welches ihm zuteilgeworden war. Und noch ein bisschen mehr, Zinsen quasi, sollten es sein. Ein Leben auf zehn Quadratmetern war Ulrich bestimmt. Niemals hätte Leon geglaubt, dass sein Bruder den Mut aufbringen würde, sich
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