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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
Autoren: Lene Kaaberbol
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herumgefuchtelt hatte, während sie versuchte, sich zu erklären, sank auf die Häkeldecke und blieb liegen.
    Ich betrachtete Shanaia, aber ich konnte nichts anderes erkennen als eine erschöpfte, schrecklich blasse junge Wildhexe mit viel zu vielen Schrammen und blauen Flecken. Es war offenbar noch ein weiter Weg, bis ich auch nur halb so geschickt in diesen Dingen werden würde wie Tante Isa.
    »Als die Rabenmütter Chimära ächteten, war Vestmark das Erste, woran ich dachte. Dass sie es ihr jetzt wieder wegnehmen und mir zurückgeben mussten.«
    »Ja, aber das haben sie doch auch getan?«, sagte ich. Ich meinte mich zu erinnern, dass Tante Isa in ihrem Weihnachtsbrief an mich etwas in dieser Richtung erwähnt hatte.
    »Ja und nein. Sie gaben mir das Recht an Vestmark zurück – aber sie wollten mir nicht helfen, Chimära von dort zu vertreiben.«
    »Viele Raben sind gestorben«, sagte Tante Isa. »Es wird noch mindestens ein Jahr dauern, bis die Rabenmütter wieder so mächtig sind, wie sie es vorher waren.«
    »Ja. Sie haben gesagt, ich müsse warten. Aber … das konnte ich nicht.« Sie tastete nach ihrer Lederjacke, die auf der Rückenlehne des Sofas lag. Dann reichte sie mir ein zerschlissenes Portemonnaie. »Schau.«
    Ich nahm das Portemonnaie, ohne so ganz zu kapieren, wieso ausgerechnet ich es nehmen sollte. Es waren weder Geld noch Kreditkarten darin. Das Portemonnaie war vollkommen leer, bis auf eine zerknitterte Fotografie, die in der Plastiktasche steckte, in der die meisten Erwachsenen ein Bild ihrer Kinder oder Ehepartner haben. Aber auf Shanaias Foto waren keine Menschen. Nur ein Strand, eine windstille Bucht und hoch oben eine grasbewachsene Ebene, die schroff zum Meer hin abfiel. Im Hintergrund konnte man die Umrisse eines alten Hauses mit vielen Schornsteinen erahnen. So wie es dort stand, schien es auf irgendeine Art und Weise das letzte Haus am Ende der Welt zu sein, kurz davor, in die Tiefe zu stürzen. Im Aufwind entlang der Steilküste glitt ein riesiger Möwenschwarm auf scharf umrissenen weißen Flügeln durch die Luft. Ich musste an den Möwenschwarm im Park denken, und unwillkürlich durchfuhr mich ein Schauer.
    Ich hatte das Gefühl, irgendetwas Nettes über das Haus sagen zu müssen, wo es Shanaia doch so viel bedeutete, aber jetzt, in diesem Augenblick, konnte ich die Erinnerung an Möwenschnäbel und rote Augen einfach nicht aus dem Kopf bekommen. Wortlos gab ich ihr das Portemonnaie zurück.
    Oscar schaute von einer zur anderen und versuchte, dem Gespräch zu folgen, auch wenn er bestimmt vieles nicht verstand.
    »Warum sind die Raben so wichtig?«, fragte er. »Also die, die gestorben sind?«
    »Ohne sie können die Rabenmütter nichts sehen«, sagte Tante Isa. »Und wenn man nichts sehen kann, ist es schwer zu kämpfen.«
    »Was hast du denn dann gemacht?«, fragte er Shanaia. »Hast du ein Heer um dich versammelt?«
    Sie starrte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Ein Heer?«
    »Ja. Um dir dein Schloss zurückzuholen.«
    »Vestmark ist kein Schloss«, sagte sie. »Es ist nur … ein Ort. Und was soll ich mit einem Heer?«
    »Ging es nicht darum, dass du Chimära und ihre Horden besiegen wolltest?«
    Shanaia schaute mich mit diesem Was-faselt-der-da-Blick an.
    »Also das ist ein bisschen anders als in einem Computerspiel«, sagte ich vorsichtig. »Chimära hat bestimmt keine Horden. Und Shanaia hat ganz sicher kein Heer.«
    »Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, eins zu haben«, sagte Shanaia. »Denn so gesehen hat Chimära eine Art Horde.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Tante Isa scharf. »Es gibt doch wohl hoffentlich keine Wildhexe, die Chimära unterstützen würde? Immerhin ist sie geächtet.«
    »Keine Wildhexe. Nein«, sagte Shanaia. »Aber sie hat irgendetwas mit den Tieren von Vestmark gemacht. Sie … sie sind nicht mehr frei.«
    »Sklaventiere?« Tante Isas Stimme klang jetzt so scharf, dass Tumpe den Kopf hob. »Hat sie Sklaventiere aus ihnen gemacht?«
    »Was sind Sklaventiere?«, fragte Oscar.
    »Ein abscheuliches Verbrechen«, antwortete Tante Isa düster.
    »Einem Tier den freien Willen zu nehmen … es nicht zu rufen oder es zu bitten stillzuhalten, wenn man ihm hilft, sondern ein Tier zu unterwerfen und zu versklaven … das ist einer Wildhexe unwürdig. Ich wusste zwar, dass Chimära ihr Wildhexenversprechen oft und in vielerlei Hinsicht missachtet hat, aber dass sie so verkommen ist … das hätte ich trotzdem nicht gedacht.«
    »Die Möwen«, sagte ich.
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