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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
Autoren: Lene Kaaberbol
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verschwand durch die offene Balkontür.
    »Ja, aber …« Mein Vater starrte ihm mit offenem Mund hinterher. »Das war ja ein Turmfalke!«
    Während er noch immer dastand und dem Vogel nachschaute, schob ich hastig den Zettel in die Hosentasche.
    »Die werden hier in der Stadt immer häufiger«, sagte ich und versuchte, es so klingen zu lassen, als wäre es völlig normal und alltäglich, dass einem Turmfalken ins Zimmer flogen.
    »Äh …, ja, aber … der muss zahm gewesen sein. Hatte er einen Falknerriemen um?«
    »Schon möglich«, sagte ich. »Ich habe es auf die Schnelle nicht richtig gesehen.« Ich war ziemlich sicher, dass es ein wilder Vogel war, der nie gezähmt, trainiert oder angebunden wurde, aber das behielt ich für mich.
    »Unglaublich«, sagte mein Vater. »Offenbar gibt es mitten in so einer Großstadt doch mehr Natur, als man denkt.« Dann fiel sein Blick auf meine Hand.
    »Aber, Clara«, sagte er. »Er hat dich verletzt!«
    Ich schaute nach unten. Mein Vater hatte recht. Etwas Blut tropfte aus einem einzelnen, tiefen Kratzer und lief über meine Handfläche. Es war nicht schlimm, aber ein unangenehm kaltes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich musste daran denken, dass es genau so im letzten Jahr angefangen hatte – mit einem wilden Tier, vier Katzenkratzern und ein paar Tropfen warmem rotem Blut, an einem verregneten Morgen, an dem ich eigentlich in der Schule hätte sein sollen. Ich konnte mich immer noch überdeutlich an das Gewicht des Katzenkörpers und das Gefühl einer nassen, rauen Zunge erinnern, die mir die Blutstropfen von der Stirn leckte.
    So hatten Kater und ich uns kennengelernt. Jetzt wohnte er die meiste Zeit bei uns in der Merkurgade, aber auch wenn er mich und meinen Tagesablauf fest im Griff hatte und nie eine Gelegenheit ausließ, mir zu sagen, wer hier wen besaß (rate mal, was er damit wohl meinte), ging er unverändert seiner eigenen Wege. Ich ahnte selten, wo er gerade war, es sei denn, er lag schnurrend neben mir.
    Wir hatten den Nachbarn erzählt, er sei eine norwegische Waldkatze und nur deshalb so groß.
    »Du solltest das lieber auswaschen«, sagte Papa. »Hast du letzten Herbst eine Tetanusspritze bekommen?«
    »Ja«, sagte ich, ging brav zur Gästetoilette und hielt mein Handgelenk unter kaltes Wasser. Mein Blick streifte mein Spiegelbild, und ich lehnte mich ein kleines Stück über das Waschbecken nach vorne. Die vier senkrechten Narben, die Katers Krallen hinterlassen hatten, waren für gewöhnlich nicht mehr als dünne weiße Linien, die man kaum bemerkte. Jetzt hatte ich plötzlich das Gefühl, sie seien viel deutlicher sichtbar.
    »Darf man hier eigentlich Katzen halten?«, fragte ich.
    Papa zögerte. »Eigentlich nicht«, sagte er. »Aber wenn du – wie nennst du ihn noch mal? Heißt er nur Kater?«
    »Ja«, sagte ich. Ich wusste selbst, dass der Name nicht besonders einfallsreich war, aber es war das einzige Wort, das sowohl seinen Eigensinn als auch den großen, schwarzen Katzenkörper treffend beschrieb.
    »Wenn du ihn hierher mitnehmen willst, brauchst du eine Transportbox und ein Katzenklo, und du musst aufpassen, dass er in der Wohnung bleibt, dann geht das schon.«
    Eine Transportbox? Eher schneit es in der Hölle, dachte ich. Ich war nicht so dumm, Kater das auch nur vorzuschlagen.
    Der Kratzer hörte schnell auf zu bluten. Der Turmfalke hatte sich wirklich bemüht, mich nicht zu verletzen – sonst hätten die vier Krallen tiefere Löcher hinterlassen. Aber es war vermutlich nicht gerade einfach, auf einem Bein zu landen.
    »Tut es weh?«
    »Nein«, sagte ich. »Ist nicht schlimm.«
    »Ich mache uns Kakao«, sagte Papa. »Du kannst ja inzwischen deine Sachen auspacken. Damit es hier ein bisschen heimeliger wird …«
    Er merkte natürlich, dass ich nicht so glücklich über das Zimmer war, wie ich behauptet hatte. Er war ja nicht blöd. Jedenfalls meistens. Er legte mir eine Hand auf den Kopf und wuschelte mir durch die Haare.
    »Das wird schon alles gut«, sagte er.
    Ich wartete, bis ich ihn in der nagelneuen, glänzend weißen Küche rumoren hörte, dann zog ich den Zettel aus der Hosentasche und faltete ihn auf.
    ELVERPARK stand da mit großen Blockbuchstaben. Morgen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang, Nordpfad, dritte Bank vor dem Tor . Darunter war ein kleiner Tierkopf gezeichnet, der ein Frettchen darstellen sollte.
    Das hier kam nicht von Tante Isa, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Der Absender war natürlich eine Wildhexe, wer
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