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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
Autoren: Lene Kaaberbol
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gewesen war.
    Oscar stand mitten auf dem Hof und schaute sich mit großen Augen um. Ich glaube, ihn fesselte nicht so sehr der Hofplatz selbst oder die strohgedeckten Dächer und die grauen Feldsteinmauern, sondern wohl eher die Tatsache, dass wir ganz offensichtlich sehr tief im Wald waren, obwohl wir vor höchstens zehn Minuten noch im Elverpark gestanden hatten, wo der Verkehr hinter der Hecke vorbeidröhnte.
    »Wow …«, sagte er. »Was war das denn?«
    »Die wilden Wege«, sagte ich. »Das habe ich dir doch erzählt.«
    »Ja. Aber …«
    Aber es war etwas völlig anderes, so etwas selbst zu erleben, als es nur zu hören. Das konnte ich gut verstehen.
    »Man gewöhnt sich dran«, sagte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, dass ich mich selbst schon wirklich daran gewöhnt hatte.
    Oscar half mir, Stjerne zu versorgen. Er kannte sich mit Pferden nicht sonderlich aus, aber ich zeigte ihm, wie er sie putzen musste. Erst in weichen Kreisen mit dem Striegel und dann mit der Kardätsche in langen Zügen mit dem Strich. So standen wir jeder auf einer Seite und striegelten und bürsteten, während Stjerne die Unterlippe hängen ließ und ganz selig aussah. Es war eigentlich ziemlich gemütlich inmitten der ganzen Aufregung. Luffe durfte ohne Leine herumlaufen und begrüßte vorsichtig die mutigste Ziege, die ihn sofort mit ihren kleinen, stumpfen Hörnern in die Seite knuffte. Luffe winselte erschrocken und flüchtete sich hinter Oscar. Er war nicht gerade einer dieser Hunde-Filmhelden, die über hohe Mauern springen, zwei, drei Verbrecher entwaffnen und sich anschließend in ein Hafenbecken stürzen, um Herrchen vor dem Ertrinken zu retten.
    Luffe war eindeutig eher der Typ für Sofakissen, Leckerchen und behagliche Gemütlichkeit, aber dafür war er auch ein richtig netter Hund.
    Kater war verschwunden – mal wieder. Ich betrachtete das als gutes Zeichen. Hätte er immer noch befürchtet, dass Gefahr im Verzug war, wäre er wohl bei mir geblieben.
    »Was, denkst du, ist mit dieser Shanaia los?«, fragte Oscar.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Aber wenn du mir noch schnell hilfst, Stjerne frisches Heu und Wasser zu geben, dann können wir rüber ins Haus gehen und es herausfinden.«

5  SHANAIAS GESCHICHTE

    Der Holzofen knisterte, und Tumpe hatte seinen Kopf und ein ganzes Stück seines Vorderteils auf meinen Schoß gelegt. Er war so schwer, dass meine Beine langsam taub wurden, aber ich schob ihn nicht weg, denn es war schön warm und irgendwie beruhigend, dass er da war. Luffe hatte sich neben Oscars Füßen zusammengerollt und schnarchte laut.
    Aber das war’s dann auch schon mit Gemütlichkeit.
    »Als sie mir Vestmark weggenommen haben«, sagte Shanaia, »wollten viele mich trösten, indem sie mir sagten, dass es doch so viele schöne Orte gebe, an denen man wohnen kann. Sie haben gar nichts kapiert. Ich bin in Vestmark geboren. Aber es ist mehr als nur das. Ich gehöre dort hin – auf eine Weise, die ich nicht richtig erklären kann. Es gibt etwas in mir … das dort festsitzt. Wie Tang auf einem Stein. Ich kann herumreisen, ich kann an anderen Orten sein – aber ich kann nirgends sonst wohnen . Versteht ihr das?«
    Sie sah so blass und mitgenommen aus, dass ich nickte, obwohl ich nicht sicher war, dass ich wirklich begriffen hatte, was sie meinte. Redete sie von einer Art Heimweh? Heimweh konnte ich gut nachvollziehen. Ich vermisste die Merkurgade auch oft, wenn ich bei Tante Isa oder im Kastanjevej bei meinem Vater war.
    Wobei … mit dem Kastanjevej war es jetzt ja auch vorbei. Ich erinnerte mich plötzlich an den Stich, den es mir versetzt hatte, als Papa mir erzählte, dass er das Haus verkauft hatte. Vielleicht empfand Shanaia etwas Ähnliches? Nur schlimmer?
    »Ich war so klein, als meine Eltern starben, dass ich mich kaum an sie erinnern kann. Aber an Vestmark erinnere ich mich genau.«
    Ich hatte zwar gewusst, dass Chimära Shanaia auf irgendeine Weise das Elternhaus gestohlen hatte, aber nicht dass Shanaia ein Waisenkind war. Allein der Gedanke, beides zu verlieren, die Eltern und das Zuhause … Ich verspürte eine Welle des Mitgefühls.
    »Dein Lebensstrang ist ungewöhnlich«, sagte Tante Isa plötzlich. »Er verbindet dich nicht nur mit allem Lebendigen, so wie die Lebensstränge anderer Menschen, sondern hat, wenn man so will, eine zusätzliche Wurzel.«
    Shanaia nickte. »Das ist Vestmark. Du verstehst es!« Ihre angespannten Gesichtszüge wurden weicher, die Hand, mit der sie
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