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Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos

Titel: Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos
Autoren: Jonathan Wylie
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ERSTER TEIL
DER STÄHLERNE ABGRUND
1. KAPITEL
    Der Boden aus Stahl war viele Schritte unterhalb des schmalen Laufgangs, auf dem der Mann stand, deutlich zu erkennen. Und doch sah er ihn nicht. Denn er war fasziniert von seiner eigenen linken Hand, auf die er wie gebannt starrte.
    Meine Hand. Wenn ich ihr sage, sie soll sich bewegen, tut sie es. Er bewies es, indem er seine Finger spreizte und dann seine Hand drehte, so dass er die Handfläche sehen konnte. Schweiß glänzte auf den Erhebungen und Linien.
    Meine Hand.
    Sie wirkte weich und verletzlich. Menschlich. Er erzitterte bei dem Gedanken, und ein Woge banger Besorgnis überkam ihn.
    Er warf einen kurzen Blick auf den Metallstreifen, den man ihm fest um sein Handgelenk gelegt und versiegelt hatte. Entfernen ließ er sich nicht. Dort war sein Name eingraviert, unterhalb des unaufhörlich blinkenden Feldes, auf dem seine Position innerhalb des Kartennetzes angezeigt wurde. Damit war gesichert, dass die Zentrale immer wusste, wo er war, ihm jederzeit eine Nachricht übermitteln und sofortigen Gehorsam befehlen konnte. Das winzige rote Licht über dem Feld zeigte an, dass alles richtig funktionierte. Alles war genauso, wie es sein sollte.
    Und doch verschaffte ihm dies nur vorübergehend Beruhigung. Als er auf seine Handlinien starrte, überkamen ihn fürchterliche Zweifel.
    K207M, überlegte er nach einem neuerlichen Blick auf den Metallstreifen. Das ist also mein Name. Von ganz weit weg, vielleicht aus grauer Vorzeit, kam der Nachhall einer Erinnerung. Mein Name war Ardath.
    Nein!
    Er starrte auf die Gravur auf dem Armreif, die seine Nummer unablässig wütend und beängstigend wiederholte, als wollte er damit jeden Gedanken unterdrücken, der in seinem Kopf entstand.
    K207M. Das ist mein Name. Daher kenne ich meinen Platz im Gitternetz. K207M. Das ist mein Name ...
    Die Litanei geriet ins Stocken. Es hatte keinen Sinn - die Struktur seines Seins hatte einen Riss bekommen, und der wurde immer breiter und drohte das gesamte Gefüge zum Einsturz zu bringen. Er schüttelte sich, löste seinen Blick von der verräterischen Hand und sah sich um.
    Er war umgeben von glänzenden Metallen: Eisen, Stahl, Blei sowie andere, die er nicht benennen konnte. Ebene K war einer der unteren Bereiche im Gitternetz. Über Metallurgie hatte man ihm wenig beigebracht, und über die Geheimnisse der Macht überhaupt nichts. Er arbeitete in der Kommunikationsabteilung, einem riesigen, vielschichtigen Bereich, dessen Komplexität und Hierarchie sein Begriffsvermögen überstiegen. Er tat einfach, was man ihm auftrug. Das hatte ihm genügt - bis jetzt.
    Er betrachtete das Netzwerk aus Röhren und Trägern, aus Geflechten und Spiralen, und es war, als sähe er sie zum erstenmal. Energie pulsierte innerhalb dieses gewaltigen Labyrinths aus Stahl, die Luft war vom Summen der Energieschwingungen erfüllt, und aus verborgenen Tiefen stieg Hitze empor. Lichter blitzten auf und erloschen wieder im grellen Licht der blauweißen Felder, die die inneren Laufgänge und weiter oben die Bedachung auskleideten. Unter ihm befand sich einer der gewaltigen Bohrschächte des Riesenkomplexes. Der Laufgang, auf dem er stand, kreuzte den Schacht auf zwei Dritteln seiner Höhe - nur ein winziges Stahlband, das man über eine viele Stockwerke hohe Kluft gespannt hatte.
    K207M hatte diese Brücke auf seinen endlosen Rundgängen durch den Komplex unzählige Male überquert. Niemals hatte er Angst verspürt, hatte den schwindelerregenden Abgrund zu beiden Seiten nicht einmal bemerkt. Die Brücke war lediglich Teil seiner vorgegebenen Route, die man für ihn innerhalb des Gitternetzes seiner Aufgabe entsprechend festgelegt hatte. Nie zuvor war er stehengeblieben, um sich umzusehen.
    In der Ferne, weit ober- und unterhalb seines Standpunktes, gingen Männer und Frauen ihrer Beschäftigung nach, winzige Insekten in einem gigantischen Gebäude aus Metall. Ihr Fleiß, ihre Gewissheit und offenkundige Zufriedenheit vermittelten ihm das verzweifelte Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit.
    Wieso kann ich nicht sein wie sie? Ich will die Dinge nicht anders sehen! Er klammerte sich mit beiden Händen krampfhaft am Geländer fest, dass die Brücke zu beiden Seiten sicherte. Angst und völlige Verwirrung überkamen ihn, und er schloss die Augen, um die verwirrenden Bilder nicht mehr sehen zu müssen.
    Doch so einfach ließen sich seine Gedanken nicht unterdrücken. Er war alleine, hing mitten in der Luft, inmitten eines
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