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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen
Autoren: Christiane Sadlo
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Zeit gedacht, dass sie nicht würde weiterleben können mit der ungeheuren Schuld, die sie auf sich geladen hatte. Sie hatte gehofft, dass eine gnädige Macht sie von ihrem irdischen Dasein befreien würde. Doch sie hatte weiterleben müssen. Tag für Tag. Und Nacht für Nacht. Einsam unter den Menschen, die sie verehrten und achteten. Irgendwann hatte sie begriffen, dass dieses Leben an diesem Ort die Strafe war für ihren fürchterlichen Entschluss. Sie hatte gelernt, damit zu leben. Auch wenn sie sich jeden Morgen aufs Neue darüber wunderte, dass es sie noch gab in dieser Welt.
    Merlin blieb plötzlich stehen. Ein leises grollendes Knurren war zu hören. Der große Hund stand stocksteif da. Die Haare auf seinem Rücken waren zu einem Kamm aufgestellt. Irgendetwas beunruhigte ihn. Céline blieb ruhig.
    Â»Da ist nichts, Merlin.«
    Das Knurren wurde lauter. Drohender. Céline sah sich um. Was hatte der Hund? Seit er vor mehr als zehn Jahren vor ihrer Tür gestanden hatte, war er nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Und noch nie hatte er bei ihren Wanderungen Anzeichen von Angst gezeigt.
    Ihre Hand kraulte seinen Nacken. Sie spürte das unruhige Vibrieren seiner Muskeln. Der ganze Hund stand unter Spannung.
    Â»Du wirst dich auf deine alte Tage doch nicht zum Angsthasen entwickeln. Da ist nichts. Nur ein wenig Wind. Das kennst du doch. Jetzt komm, lass uns weitergehen. Die Lilien am Menhir müssten inzwischen verblüht sein. Ich will mir ihre Samen holen.«
    Sie versuchte den Hund an seinem Halsband mit sich zu ziehen. Doch er stand da, als sei er in der Erde verwurzelt.
    Â»Was ist denn heute los mit dir?« Sie zögerte. Was hatte der Hund? War heute irgendetwas anders als sonst? Sie sah sich um. War da etwas in der Undurchdringlichkeit des Waldes? Ein Wildschwein? Ein Hirsch? Vielleicht einer der Wölfe, die ein paar Wanderer kürzlich in der Gegend gesehen zu haben glaubten und von denen man annahm, dass sie aus den Pyrenäen heruntergekommen waren und sich hier ansiedeln wollten? Doch sie konnte nichts erkennen und beschloss, einfach weiterzugehen. Der Hund würde ihr schon folgen, wenn er sah, dass sie nicht auf ihn wartete. Sie ging davon. Schon konnte sie am Horizont den aufragenden Menhir von Kerloas erkennen, um den wie eine schwarze Wolke ein paar Raben im Sturm tanzten. Als unerwartet ein gewaltiger Blitz neben ihr in eine Eiche einschlug, die sofort in hell lodernden Flammen aufging, war die Wucht des Einschlags so groß, dass sie zu Boden geschleudert wurde. Der Korb wurde ihr aus der Hand gerissen und davongeweht. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte und zerriss ihr fast das Trommelfell. Und dann war es plötzlich still. Der Sturm hatte sich von einer Sekunde auf die andere gelegt. Der Regen hatte aufgehört. Nur das Brausen der Flammen, die den alten Baum zu einer weithin leuchtenden Fackel machten, war zu hören. Céline lag auf dem Boden, unfähig sich zu rühren. Sie starrte in den brennenden Baum. Und da war plötzlich dieser stechende Schmerz in ihrem Herzen. Dieser Schmerz, den sie tief in sich verborgen wähnte, fast vergessen hatte. Er war wieder da. Und das betäubende Gefühl, dass etwas Furchtbares geschehen würde. Irgendetwas war anders an diesem Tag, der sich viel zu früh in die Dunkelheit der Nacht gehüllt hatte. Etwas Drohendes schien in der Schwärze verborgen. Etwas, das ihr den Atem nahm. So lange hatte sie dieses Gefühl nicht mehr gehabt. Wie ein dunkles Tuch legte sich eine bedrückende Ahnung um sie. Es würde etwas passieren. Etwas Schreckliches. Sie wollte aufschreien. Doch der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Wie gelähmt lag sie am Boden. Merlin drückte sich zitternd an sie. Als sie den Tropfen auf sein weißes Fell fallen sah, wusste sie, dass sie weinte. Was immer auch geschehen würde, sie würde es nicht verhindern können.
7
    Ãœber Paris lag der Zauber eines Spätsommerabends. Die Stadt lag da, in mildes Licht getaucht, wie ein impressionistisches Gemälde. Selbst der Lärm des Großstadtverkehrs schien gedämpft durch die samtene Stimmung.
    Paul Racine kam auf seinem Motorrad durch eine enge Nebenstraße gefahren. Er war ein wenig zu schnell und wie immer ein wenig zu spät. Im letzten Moment hatte er bei einem Blumenstand angehalten und einen überdimensionalen, vielfarbigen Strauß Rosen erstanden, den er unter seinen rechten
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