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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen
Autoren: Christiane Sadlo
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vergessen. Komm, lassen wir ihn laufen. Wahrscheinlich war das gar kein Whisky.«
    Â»Du meinst, der Typ trinkt Apfelsaft aus einer Whiskyflasche?«
    Es war klar, dass er keine Lust hatte, den Übeltäter zu verfolgen.
    Â»Ich sag den Kollegen Bescheid. Hast du die Nummer von dem Typen gesehen?«
    Marie schüttelte den Kopf. »Aber es war ein Citroën, ziemlich altes Modell. Dunkelrot. Er muss wenigstens überprüft werden.«
    Plötzlich schauderte es sie.
    Â»Ich hab keine Ahnung, aber vielleicht … Wenn es wirklich Whisky war … Der Typ ist vielleicht gefährlich. Ich will nicht, dass er am Ende jemanden totfährt, bloß weil wir ihn nicht gestoppt haben«
    Â»Frauen! Dass ihr immer gleich an das Schlimmste denkt. Wahrscheinlich hat der Typ seinen Wagen schon längst abgestellt und liegt mit seiner Liebsten in der Falle. Es ist Freitagabend, Marie. Wieso sollten wir ihm den Spaß verderben?«
    Marie runzelte die Stirn. Sie drehte sich um, versuchte, das Auto noch zu sehen. Doch der rote Citroën war verschwunden.
    Â»Okay, wahrscheinlich hast du mal wieder recht.« Sie steuerte den Streifenwagen in den Hof des Polizeireviers.
    In Gedanken war sie schon bei Thomas in London.
5
    Der Sturm hatte die französische Westküste erreicht. Die Wellen krachten meterhoch an die felsige Küste, erreichten sogar die Terrasse des trutzigen Schlosses, in dem Leon mit seiner kleinen Familie lebte. Im düsteren Zwielicht des Gewitters, aus dem giftig die Blitze schlugen, sah es aus wie die Location eines amerikanischen Vampirfilms. Eine Sekunde bevor sich auch die Schleusen des Himmels öffneten und der Regen Leon Menec durchnässen konnte, öffnete er die schmale hohe Terrassentür einen Spalt breit und schlüpfte ins Innere des Schlosses. Nachtschwarz war es mit einem Mal geworden, kaum einen Meter weit konnte man noch sehen. Alles versank in den Fluten des Wolkenbruchs. Nie war die Bezeichnung dieser westlichsten, französischen Region »Finistère« so gerechtfertigt wie in solchen Momenten. Hier hörte die Welt tatsächlich auf. Nichts war mehr zu sehen. Die felsige Küste nicht mehr, die weiten Sandstrände nicht und auch nicht das Meer, dessen Farbe und Substanz sich nun mit den Fluten des Himmels zu verbinden schienen.
    Im Kamin prasselte ein Feuer, ein paar Kerzen brannten auf dem Tisch, die kleinen Lampen mit den geblümten Schirmen, die auf den Beistelltischen neben den gemütlichen Sofas standen, verbreiteten eine Wärme, die im krassen Gegensatz zur tobenden Natur draußen stand.
    Leon schenkte sich ein Glas des alten Armagnacs ein, den er letztes Jahr von seinen Angestellten in der Fischfabrik zum Geburtstag bekommen hatte. Gerade als er das Glas zum Mund führen wollte, krachte etwas mit großer Wucht gegen eines der Fenster. Das Glas drohte ihm aus der Hand zu rutschen. Doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. Es war sicher nur eine starke Windböe gewesen, die am Fenster gerüttelt hatte, oder ein großer Schwall Regen. Trotzdem ging er zum Fenster, versuchte in der Schwärze des Unwetters etwas zu erkennen. Lag da nicht etwas vor dem Fenster? Etwas Dunkles? Er zögerte. Trank einen Schluck Armagnac. Es war plötzlich sehr heiß im Salon. Er lockerte die Krawatte. In einem plötzlichen Entschluss öffnete er die Terrassentür. Schlüpfte noch einmal hinaus auf die Terrasse. Die wütende Wucht des Unwetters nahm ihm den Atem, der Sturm drückte ihn gegen die Mauern des Schlosses. Und da sah er, dass es ein großer Rabe war, der im Sturm gegen das Fenster geschleudert worden war. Mit ausgebreiteten Flügeln lag er da. Der Aufprall am Fenster musste ihm das Genick gebrochen haben. Sein Kopf lag unnatürlich verrenkt neben seinem Körper, die Augen blickten starr in den Regen. Das glänzende Gefieder wurde durch den Sturm zerrupft. Das Tier war eindeutig tot. Leon konnte den Blick nicht von dem Vogel wenden. Obwohl er wusste, dass er ihm nicht mehr helfen konnte, tastete er sich, gegen den Wind ankämpfend, an der Mauer entlang hin zu ihm. Es war, als würde ihn etwas unwiderstehlich zu dem Tier hinziehen. Als er es erreicht hatte, bückte er sich und streckte die Hand nach dem Raben aus. Er musste ihn berühren. Er musste ihn wegschaffen aus dem Unwetter, er musste … In diesem Augenblick, seine Finger erspürten schon fast das nasse Gefieder des Vogels, ging ein
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