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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen
Autoren: Christiane Sadlo
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machen. Und auch wenn sie die untergehende Sonne über Sacré Cœur schon Hunderte von Malen gesehen hatte, für Marie war es jedes Mal ein Ereignis, in das man sich schwelgend fallen lassen konnte. Ihre braunen Augen glühten, ihr hübsches Mädchengesicht strahlte vor Lebensfreude.
    Â»Was ich allerdings nicht verstehe, wenn du Paris so herrlich findest: Wieso fliegst du dann heute schon wieder nach London? London, Marie. Grau. Verregnet. Dreckig. Und dieses Essen …«
    Jean wusste genau, dass sie nicht der Stadt wegen nach London fliegen würde.
    Â»Mir wäre es doch auch lieber, wenn Thomas hier arbeiten würde. Aber was soll ich machen? Der Mann meines Lebens hat seinen Traumjob nun mal in London gefunden. Also gibt’s am Wochenende eben Fish und Chips.«
    Sie stiegen in den Streifenwagen. Noch zwei Stunden, und Marie würde im Flieger zu ihrem Liebsten sitzen. Sie seufzte leise. Klar, das war kein idealer Zustand, diese Wochenendbeziehung diesseits und jenseits des Ärmelkanals. Aber Thomas hatte den Job als Banker gerade erst angetreten, als er Marie auf einem Fest kennenlernte. Er hatte lange auf so eine Chance gewartet, und Jobs dieser Art waren nun mal rar. Er konnte ihn nicht so einfach aufgeben, nur weil er sich in eine Frau verliebt hatte, die zufällig in Paris wohnte. Und Marie war nun mal Polizistin. Sie konnte in England nicht arbeiten. Mal ganz abgesehen davon, dass sie überzeugt war, dass sie sowieso nirgendwo anders als in Paris würde leben können. Es war schon erstaunlich, wie innerhalb eines Jahres aus dem jungen Mädchen aus der Provinz, das eine traumhafte Kindheit zwischen Weinbergen und alten Obstgärten verbracht hatte, mit Hunden und Katzen, dem Kaninchen Rosalie und der zahmen Elster Hanna, die aus dem Nest gefallen war und von Marie großgezogen wurde, eine richtige Großstadtbewohnerin geworden war. Eine Pariserin, die sich außerhalb ihres Dienstes lässig durch die Straßen der Stadt bewegte, als hätte sie nie woanders gelebt. Manchmal, wenn sie abends in ihr Vogelnest über den Dächern der Stadt zurückkehrte und sich mit einem Glas Wein auf den Balkon setzte, der die Größe eines Puppenwagens hatte, schickte sie ein kurzes Dankgebet zum Himmel. Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass sie es im Leben so gut getroffen hatte, sie war ihm unendlich dankbar. Toller Job, tolle Wohnung, toller Mann, das alles in der Stadt ihrer Träume. Was wollte sie mehr? Der einzige Schmerz, den sie in ihrem Herzen verborgen mit sich trug, war die Tatsache, dass ihre Mutter nicht mehr bei ihr war.
    Â»Wie wär’s, wenn ich den Bericht schreibe, und du fährst gleich zum Flughafen?« Jeans Stimme riss Marie aus ihren Erinnerungen. Wie nett dieser Mann war. Fast wie ein Bruder, der sich um seine kleine, verliebte Schwester kümmerte. Dabei hatte er doch selbst vor, übers Wochenende wegzufahren. Seit sein Vater einen Schlaganfall erlitten hatte, versuchte Jean, seine Eltern, die in der Nähe von Vichy wohnten, so oft wie möglich zu besuchen.
    Â»Quatsch, wir machen das schnell zusammen. Dann kommen wir beide gleichzeitig weg.«
    Â»Aber es würde mir nichts ausmachen, ich …«
    Marie legte die Hand auf Jeans Unterarm, grinste ihn an.
    Â»Du bist süß, Jean, aber es ist nicht nötig, dass du mir zu liebe immer die Drecksarbeit machst.«
    Marie wusste, wie sehr Jean, der mit Leib und Seele Streifenpolizist war, es hasste, am Computer zu sitzen und Berichte zu schreiben. Sein Ding war die Straße. Hier fühlte er sich wohl, hier konnte er das tun, was ihm am meisten lag: mit Menschen umgehen. Mit harmlosen Passanten, kleinen Gaunern, Touristen, Jugendlichen, Kindern. Das war die Welt, in der er sich wohl fühlte, sein Zuhause. Er hatte nie geheiratet, aber immer das Gefühl gehabt, eine Familie zu haben. Sie lebte auf den Straßen und Plätzen von Paris.
    Während sie sich durch die enge Rue d’Anjou quälten, um von ihr aus in den Boulevard Hausmann einzubiegen, in dem ihr Polizeirevier lag, achtete Jean nicht weiter auf den alten dunkelroten Citroën , der ihnen entgegenkam. Marie allerdings sah kurz den jungen Mann, der den Citroën steuerte.
    Â»Hey, hast du das gesehen? Ich glaube, der hat grade einen fetten Schluck aus einer Whiskyflasche genommen. Ich dreh um; den sehen wir uns an.«
    Jean sah auf die Uhr.
    Â»Dann kannst du deinen Flieger aber
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