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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme
Autoren: Jane Feather
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eine eher onkelhafte Art. Sie war mehr als bereit gewesen, seinen Heiratsantrag anzunehmen; erschien ihr doch die Ehe als einzige Möglichkeit, dem Haus ihres Vormunds zu entfliehen. Mehr als bereit – bis ihr klargeworden war, daß sie mit George würde fertigwerden müssen… dem bösartigen, eifersüchtigen, lüsternen George. Aber da war es schon zu spät gewesen, um noch einen Rückzieher zu machen. Sie ließ den Ring in die Schublade zu den verbleibenden Sovereigns fallen. Der Goldreif schien ihr zuzublinzeln, und sein Glanz wurde stumpf hinter dem Tränenschleier vor ihren Augen.
    Energisch schob Juliana die Schublade zu und wandte sich wieder dem Standspiegel zu, um ihren Anblick zu prüfen. Ihre Verkleidung hatte niemals den Zweck gehabt, die Leute in unmittelbarer Nähe zu täuschen, und als sie sich jetzt im Spiegel musterte, erkannte sie, daß die Leinenbluse nur wenig tat, um die volle Rundung ihrer Brüste zu kaschieren; auch den verführerischen Schwung ihrer Hüften betonten die enganliegenden Reithosen nur noch.
    Schließlich nahm sie einen schweren Winterumhang aus dem Schrank und hüllte sich darin ein. Der Umhang verbarg zwar ihre überaus weibliche Figur, doch der Gesamteindruck stellte sie keinesweges zufrieden. Allerdings würde das Licht um diese frühe Morgenstunde ziemlich schlecht sein, und mit ein bisschen Glück fänden sich noch andere Fahrgäste an der Postkutschenstation ein, so daß sie kein unnötiges Aufsehen erregen würde.
    Als sie sich auf Zehenspitzen zur Schlafzimmertür bewegte, warf sie einen letzten Blick auf die geschlossenen Bettvorhänge. Sie hatte das Gefühl, dem Toten einen gewissen Respekt schuldig zu sein. Es erschien ihr unrecht, so Hals über Kopf vom letzten Lager ihres Ehemannes wegzulaufen. Und dennoch blieb ihr keine andere Wahl. Einen Moment lang hielt sie inne, während sie intensiv an den Mann dachte, den sie kaum länger als drei Monate gekannt hatte. Sie erinnerte sich an seine Freundlichkeit und Güte. Und dann verdrängte sie energisch jede Gemütsbewegung. John Ridge war fünfundsechzig Jahre alt gewesen. Er hatte drei Ehefrauen im Laufe seines Lebens gehabt. Und er war schnell und schmerzlos gestorben… ein Tod, den leider
sie
verschuldet hatte.
    Juliana schlüpfte aus dem Schlafzimmer und schlich verstohlen den stockfinsteren Korridor entlang, wobei sie sich mit den Händen an der Wand entlangtastete. Am obersten Treppenabsatz blieb sie zögernd stehen. Die Halle unter ihr war dunkel, aber nicht so schwarz wie der zurückliegende Korridor. Schwaches Mondlicht schimmerte durch die vielen kleinen Glasscheiben der Sprossenfenster.
    Ihr Blick schweifte ängstlich zur Tür der Bibliothek. Sie war fest verschlossen. Juliana flog die Treppe hinunter, schlich auf leisen Sohlen zu der bewußten Tür und preßte ihr Ohr gegen das Holz. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und sie fragte sich, warum sie noch Zeit damit verschwendete, auf die unregelmäßigen, dröhnenden Schnarchlaute im Inneren des Raums zu horchen. Aber sie zu hören vermittelte ihr ganz einfach ein Gefühl der Sicherheit.
    Hastig wandte sie sich zum Gehen, und dabei blieb ihr Fuß in den Fransen des abgetretenen elisabethanischen Teppichs hängen. Sie stolperte prompt, klammerte sich im Fallen haltsuchend an ein Tischbein und stürzte auf die Knie – mit dem Ergebnis, daß ein kupferner Krug voller Malven gefährlich ins Kippen kam, als sich der Tisch bewegte, und gleich darauf laut auf dem Fliesenfußboden zerschellte.
    Juliana lag auf den Knien, vor Schreck wie erstarrt, während sie mit angehaltenem Atem das Echo von der hohen Balkendecke widerhallen hörte, das dann langsam in der Nacht verklang. Es war ein Krach gewesen, der selbst Tote zum Leben hätte erwecken können.
    Aber nichts geschah. Keine aufgeregten Rufe ertönten, keine herbeieilenden Schritte… und das Wundersamste von allem: keine Veränderung oder Unterbrechung im Rythmus des schnaubenden Röcheins aus der Bibliothek.
    Leise vor sich hin fluchend, rappelte Juliana sich wieder auf. Wieder mal ihre ungeschickten Füße! Sie waren der Fluch ihres Lebens, viel zu groß und ohne Zweifel mit einem eigenen Willen ausgestattet.
    Auf Zehenspitzen schlich Juliana nun in den rückwärtigen Teil des Hauses und schlüpfte zur Küchentür hinaus. Draußen war alles ruhig. Das Haus hinter ihr lag in tiefem Schlaf. Das Haus, das ihr Heim hätte werden sollen – ihre Zuflucht vor den unberechenbaren Mißgeschicken und Windungen eines
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