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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen
Autoren: Iris Strohschein
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Name in ihr hoch: Mühlböck. Rosa zupfte Unkraut, lockerte Erde auf, goss Beete, und so gelang es ihr, sich schon auf die kommende Woche und die Untersuchung des Kirchenschatzes zu freuen.
    Als es dämmerte, schälte sie sich müde aus der erdverkrusteten kurzen Jean und dem verdreckten T-Shirt und ließ beides mit ihren alten Tennisschuhen, die sie immer zur Gartenarbeit trug, im Vorraum liegen. Für ein Bad war es noch zu heiß. Sie trat kurz entschlossen nackt auf die Terrasse und sprühte sich mit kaltem Wasser aus dem Gartenschlauch von Kopf bis Fuß ab. Als selbst ein Glas kühler Riesling und ein Schinkenbrot in der Größe eines Schlauchbootes nicht halfen, sie vollends zu beruhigen, beschloss sie, noch einen Abendspaziergang über die in der Dämmerung schwach beleuchteten Landwege zu machen.
    Glühwürmchen stiegen über die Weiden, und Schwalben ließen sich mit spitzen Schreien im Sturzflug auf der Jagd nach Insekten vom Himmel fallen. Der würzige Duft von Heu, das zu Ballen gebunden auf den Feldern lag, hing in der Luft. Sie versuchte, jeden Gedanken an den Fall wegzuschieben. Vorsichtig bewegte sie ihr Handgelenk beim Gehen und stellte mit Freude fest, dass sie keine Schmerzen mehr verspürte. Nach kurzer Zeit fühlte sie sich von allen Sorgen und Grübeleien befreit. Sie blieb stehen, blickte über das Tal und hörte schwach die Abendglocke von der Kirche in Brunn zu ihr heraufklingen. Als die Nacht die Dämmerung verdrängt hatte, flogen kleine Fledermäuse dicht über ihren Kopf. Wie eine Seerose aus dunklem Wasser tauchte in ihren Gedanken die Formel aus Pauls Aufzeichnungen auf.
    »Jetzt nicht«, versuchte sie sie zu verdrängen. »Einmal nicht denken.«
    Doch es war zu spät. Um zu der angenehmen Leere im Kopf von vorhin zurückzufinden, drehte sich Rosa um und ging schnell nach Hause. Von Weitem sah sie einen Mercedes in ihrer Auffahrt stehen. Als sie näher kam, erkannte sie Daniel Mühlböck, der mit vor dem Körper verschränkten Armen an seiner Autotür lehnte.
    Rosas Herz begann vor Freude zu klopfen, trotzdem sagte sie schroff: »Schon blöd, dass diese Telefone nie funktionieren, wenn man seinen Besuch ankündigen will, hm?«
    Mühlböck lächelte entschuldigend. »Ich bin eher der spontane Typ. Darf ich mit hineinkommen?«
    Rosa sah ihn lange an. »Nur auf ein Glas, ich muss noch arbeiten«, log sie, um nicht zu leicht versöhnt zu wirken. Sie sperrte die Tür auf und ging ins Wohnzimmer voraus.
    Mühlböck stand lange vor den Bücherregalen, während Rosa zwei Weingläser aus der Küche holte. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er und stellte einen Band über die niederländische Malerei wieder an seinen Platz.
    »Ja, können Sie, indem Sie eine Flasche Wein aussuchen. Ich habe einen kleinen Vorrat im Keller; die Tür gleich links vom Eingang.«
    Rosa polierte die Gläser und überlegte, ob sie etwas Käse zum Wein anrichten sollte. Es fiel ihr ein, dass Mühlböck ja nicht wissen konnte, wo sich der Lichtschalter zum Keller befand. Als sie es ihm gerade zurufen wollte, hörte sie ein leises Klicken, und Licht fiel durch die Kellertür in den Vorraum. Erstaunt hielt Rosa im Polieren inne.
    »Sie haben da ja eine erstaunliche Auswahl an Weinen«, hörte sie Mühlböck sagen, als er die Treppe wieder nach oben stieg.
    In der Kellertür stehend sah er auf das Etikett der Flasche, die er in seinen Händen trug, griff, wie selbstverständlich, über den Türrahmen und schaltete das Kellerlicht wieder aus. Erst dann sah er auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Rosa konnte nicht sagen, ob er ihre Verwunderung erkennen konnte.
    »Ja, ich versuche, wann immer möglich, meinen Vorrat zu erweitern«, brach sie das Schweigen und fand, dass ihre Stimme unnatürlich klang. Unbehagen machte sich in ihr breit. Wieso wusste Mühlböck, wo der schwer zu findende Lichtschalter war? Gerade als sie ihr Misstrauen als kindisch abtun wollte, hörte sie Ludwigs Stimme, von Hundegebell untermalt.
    »Aus, habe ich gesagt! Ihr müsst warten, bis wir zu Hause sind!«
    Rosa lief an Mühlböck vorbei zum Eingang. Ludwig schreckte zurück, als sie die Tür aufriss und ihn erleichtert anstrahlte.
    »Ludwig, du kommst früh, ich dachte, wir sind erst in einer Stunde verabredet.« Sie sah ihn durchdringend an.
    Ludwig war mit Sicherheit die unverlässlichste Person, wenn es um konspiratives Verhalten ging. Seine Ehrlichkeit und sein mangelnder Durchblick ließen ihn, in diesem Fall zumindest, einfach nur blöd
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