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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Autoren: Georges Simenon
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Inhalt
    1. Der Glasfresser     
    2. Die gelben Schuhe     
    3. Das Bild ohne Kopf     
    4. Unter dem Zeichen des Zorns     
    5. Adèle und ihr Begleiter     
    6. Die drei Unschuldigen     
    7. Familienleben     
    8. Der betrunkene Seemann     
    9. Zwei Männer auf der Brücke     
    10. Die Ereignisse des dritten Tages     
    11. Die Abfahrt der »Océan«     
    1.
    Der Glasfresser
    E r ist der netteste Junge in der Gegend, und seine Mu t ter, die nur ihn hat, könnte daran sterben . Wie alle hier bin ich fest davon überzeugt, daß er unschuldig ist. Aber die Seeleute, mit denen ich darüber gespr o chen habe, behaupten, daß er verurteilt würde, weil die Zivilgerichte noch nie etwas von der Seefahrerei verstanden haben …
    Tu alles, was Du kannst, als ginge es um Dich selbst . Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß Du eine wichtige Pe r sönlichkeit bei der Kriminalpolizei geworden bist und …
     
    Es war ein Junimorgen. In der Wohnung am Boulevard Richard-Lenoir standen alle Fenster offen. Madame Maigret verstaute die letzten Dinge in den großen Weidenkoffern, und Maigret, der ohne Kragen dasaß, las mit halblauter Stimme aus dem Brief vor.
    »Von wem ist er?«
    »Jorissen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Er ist jetzt Lehrer in Quimper. Sag mal, legst du großen Wert darauf, daß wir unsere acht Tage Urlaub im Elsaß verbringen?«
    Sie blickte ihn verständnislos an, so unerwartet kam die Frage. Seit zwanzig Jahren verbrachten sie ihre Ferien stets in demselben Ort bei Verwandten in Ostfrankreich.
    »Wenn wir statt dessen ans Meer führen?«
    Er las noch einmal halblaut ein paar Stellen in dem Brief:
     
    Für Dich wird es einfacher sein als für mich, präzise Au s künfte zu bekommen. Kurz: Pierre Le Clinche, ein junger Mann von zwanzig Jahren – er war mein Schüler – , hat vor drei Monaten auf der » Océan « angeheuert, einem Fischdampfer aus Fécamp, der in Neufundland auf Kabe l jaufang geht. Das Schiff ist vorgestern in den Hafen z u rückgekehrt. Ein paar Stunden nach der Ankunft hat man die Leiche des Kapitäns im Hafenbecken gefunden. Alles weist auf ein Verbrechen hin. Nun, und Pierre Le Clinche hat man festgenommen …
     
    »Wir können uns in Fécamp ebensogut erholen wie anderswo!« seufzte Maigret lustlos.
    Es paßte beiden nicht so recht. Dort im Elsaß war Madame Maigret bei ihrer Familie, wo sie half, Marmelade einzukochen und den Pflaumenschnaps zu brennen. Die Vorstellung, in einem Hotel an der Küste mit anderen Parisern zusammen wohnen zu müssen, widerstrebte ihr.
    »Und was tu ich dort den ganzen Tag?«
    Aber schließlich packte sie noch eine Näharbeit und etwas zum Häkeln in den Koffer.
    »Verlange bloß nicht von mir, daß ich baden gehe! Ich sage dir das lieber gleich!«
     
    Um fünf Uhr waren sie im Hôtel de la Plage angekommen, wo Madame Maigret sofort begonnen hatte, das Zimmer nach ihrem Geschmack herzurichten. Dann hatten sie zu Abend gegessen.
    Jetzt war Maigret allein. Er stand vor der Hafenkneipe Au Rendez-vous des Terre-Neuvas und stieß die Tür mit der Mattglasscheibe auf.
    Direkt gegenüber am Kai war nicht weit von einigen Waggons der Fischdampfer »Océan« festgemacht. An den Masten hingen Karbidlampen, und in dem grellen Licht waren Leute damit beschäftigt, den Kabeljau auszuladen, der von Hand zu Hand gereicht, gewogen und schließlich in die Waggons verladen wurde.
    Zehn Personen arbeiteten dort, Männer und Frauen, und ihre Kleider waren schmutzig, zerrissen und vom Salz durchtränkt. Vor der Waage stand ein sehr sauberer junger Mann mit Strohhut, der das jeweilige Gewicht in ein Notizbuch eintrug. Ein widerlicher, ranziger Geruch breitete sich von dort aus und drang, durch die Hitze noch verstärkt, in das Bistro.
    Maigret setzte sich in einer freien Ecke auf die Bank. Es ging laut und lebhaft zu in dem Lokal. Ein paar Männer standen herum, andere saßen an den Tischen mit Marmorplatten vor ihren Gläsern. Es waren ausschließlich Seeleute.
    »Was darf es sein?«
    »Ein Halbes.«
    Der Wirt trat zu der Kellnerin an Maigrets Tisch.
    »Hören Sie, nebenan ist noch ein Raum für die Touristen. Hier ist ja so ein Krach!«
    Er zwinkerte ihm zu.
    »Nach drei Monaten auf See, na ja! Verständlich!«
    »Ist das die Besatzung der ›Océan‹?«
    »Größtenteils. Die anderen Schiffe sind noch nicht zurück. Sie müssen sie gar nicht beachten. Ein paar von den Jungs sind seit drei Tagen nicht mehr
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