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Sturz ins Glück

Sturz ins Glück

Titel: Sturz ins Glück
Autoren: Karen Witemeyer
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Prolog
    Cisco, Texas
    April 1883

    Heute ist es so weit. Sie konnte es spüren.
    Adelaide Proctor starrte den Mann auf der anderen Seite des Tisches gebannt an. In ihrem Magen tanzten die Schmetterlinge derart wild, dass sie kaum einen Bissen des Apfelkuchens hinunterschlucken konnte, den er gerade für sie bestellt hatte. Das geheimnisvolle Lächeln, das er ihr heute Morgen beim Frühstück in der Pension zugeworfen hatte, seine Einladung zum Essen heute Abend, damit sie über ihre Zukunft sprechen konnten …
    Die Zukunft! Was konnte es anderes bedeuten? Henry Belcher würde ihr heute einen Heiratsantrag machen.
    „Schmeckt Ihnen der Kuchen nicht, meine Liebe?“ Er legte seine Gabel beiseite und sah ihr in die Augen. Immer um sie bemüht, das war ihr Henry.
    „Ich bin sicher, er ist köstlich“, sagte Adelaide, während sie die Augen senkte und über den Stoff der Tischdecke strich. „Es ist nur, dass Sie erwähnt hatten, dass Sie heute Abend etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hätten. Und ich befürchte, dass mir diese Ankündigung den Appetit geraubt hat.“
    „Natürlich. Wie gedankenlos von mir.“ Er schob den Teller mit seinem halb gegessenen Kuchen beiseite und streckte ihr eine Hand entgegen. „Ich hätte Sie nicht den ganzen Abend über in Ungewissheit lassen sollen.“
    Mit zitterndem Atem legte Adelaide ihre Hand in die seine. Sein Daumen streichelte über ihren Handrücken – eine vertrauliche Geste, die die Hoffnung in ihr erblühen ließ. Und auch, wenn sich ihre Gefühle nicht überschlugen … nun ja, was machte das schon? Nicht alle Ehen waren auf Leidenschaft gegründet. Sie und Henry teilten etwas viel Beständigeres: gemeinsame Interessen und gegenseitigen Respekt. Sorgfältig gepflegt, würde daraus Liebe erwachsen, da war sie sich sicher.
    „Sie sind mir in diesem letzten Jahr sehr wichtig geworden“, sagte Henry leise. „Jeden Monat, wenn ich meine Tour erneut starte, ersehne ich den Augenblick, wenn der Zug mich nach Cisco bringt und ich Sie wiedersehen kann. Sie haben so treu immer wieder Bücher für Ihre Klasse und sich selbst bestellt. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr Ihre Großzügigkeit mein Herz gerührt hat.“
    Adelaide erwiderte seinen Blick mit pochendem Herzen. „Ich liebe die Literatur und ich … ich versuche, in meinen Schülern das gleiche Verlangen zu wecken.“ Sanft drückte sie seine Finger und betrachtete seinen Mund, den jetzt ein warmes Lächeln umspielte. „Sie haben keine Mühen gescheut, uns immer genau die richtigen Bücher zu besorgen. Andere fahrende Händler wollen immer nur ihre teuersten Ausgaben verkaufen. Aber nicht Sie. Ihnen sind Ihre Kunden wichtiger. Das habe ich vom ersten Augenblick an gemerkt.“
    „Sie sind mir wichtig.“
    Adelaides Herz summte wie ein Kreisel, der immer schneller wirbelte. Bevor der Zug Henry in die Stadt gebracht hatte, hatte sie daran gezweifelt, jemals einen Ehemann zu finden. Sie hatte einen Arbeitsvertrag für zwei Jahre als Lehrerin unterschrieben, der es ihr verbot, in dieser Zeit zu heiraten. Die wenigen Verehrer, die sich in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft für sie interessiert hatten, waren mittlerweile anderweitig verheiratet. Doch ihre Geduld würde sich nun endlich auszahlen.
    Henry griff mit der anderen Hand über den Tisch und umschloss ihre Hand. „Ich schätze Sie sehr, Adelaide. Deshalb widerstrebt es mir, dass ich uns gleich den schönen Abend mit den Neuigkeiten verderben werde, die ich Ihnen leider mitteilen muss.“
    „Den Abend verderben?“ Unsicherheit machte sich in ihr breit. „Wovon reden Sie?“
    „Ich habe Nachricht von der Zentrale erhalten. Ich wurde befördert.“
    Erleichterung erfüllte Adelaide und machte ihr Herz leicht. „Henry“, schalt sie ihn, „schämen Sie sich. Sie haben mich glauben lassen, es handle sich um furchtbare Nachrichten. Eine Beförderung ist doch ein Grund zum Feiern. Ich bin so stolz auf Sie.“
    Henry tätschelte ihre Hand auf eine Weise, die sich weniger wie eine liebevolle Geste als vielmehr wie Mitgefühl anfühlte. „Sie verstehen nicht, meine Liebe. Ich werde dauerhaft in Fort Worth arbeiten. Ich werde nicht länger mit dem Zug unterwegs sein. Es wird keine Besuche in Cisco mehr geben.“
    Adelaide machte sich nichts daraus, Cisco verlassen zu müssen. Verstand er das denn nicht? Sie würde gerne von ihrer Anstellung zurücktreten und nach Fort Worth ziehen, um mit ihm eine Familie zu gründen. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie
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