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Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Titel: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer
Autoren: Georges Simenon
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hat. Der Junge war erst fünfzehn! Ein kleiner Blondschopf, furchtbar mager, mit einem fast mädchenhaften Namen: Jean-Marie. Ansonsten … Bring uns einen Calvados, Julie! Die Flasche rechts! … Nein, nicht die! Die mit dem Glasstöpsel!«
    »Der böse Blick war immer noch da?«
    »Ich weiß nichts Genaues … Man könnte fast meinen, daß sie alle Angst haben, darüber zu sprechen … Aber der Funker ist nur verhaftet worden, weil die Polizei irgendwie erfahren hat, daß er und der Kapitän während der ganzen Fahrt kein Wort miteinander geredet haben. Sie waren wie Hund und Katz …«
    »Und was noch?«
    »Es gab Dinge … Dinge, die vielleicht nichts zu besagen haben … Sehen Sie, der Kapitän hat sie gezwungen, die Schleppnetze an einem Platz auszulegen, wo noch nie jemand auch nur einen Kabeljau gefangen hat! Er brüllte, weil der Sprecher der Fischer dem Befehl nicht gehorchte. Er zog seinen Revolver! Kurz, sie fühlten sich wie Sträflinge … Während eines ganzen Monats holten sie nicht eine Tonne Fisch heraus. Dann plötzlich war der Fang gut. Trotzdem mußte der Kabeljau zum halben Preis verkauft werden, weil er schlecht präpariert war … Nicht genug damit! Bei der Einfahrt in den Hafen wurde zweimal falsch manövriert, und sie rammten ein Boot, das auf Grund ging … Als hätte ein Fluch auf dem ganzen Unternehmen gelegen! Der Kapitän schickt die gesamte Mannschaft an Land, stellt nicht einmal Wachen auf, und bleibt den Abend alleine an Bord …
    Es dürfte neun Uhr gewesen sein. Sie waren alle hier und betranken sich. Der Funker ging hinauf in sein Zimmer. Dann ging er weg. Man sah ihn in Richtung des Schiffs gehen.
    Und da ist es dann passiert. Ein Fischer, der sich hinten im Hafen zum Ausfahren fertigmachte, hörte, wie etwas ins Wasser plumpste.
    Er und ein Zöllner, der ihm über den Weg gelaufen kam, rannten zu der Stelle. Laternen wurden angezündet … Im Hafenbecken lag ein Mensch, der sich in der Ankerkette der ›Océan‹ verfangen hatte.
    Der Kapitän! Man zog ihn heraus. Tot! Man versuchte es mit künstlicher Beatmung. Es war ihnen unverständlich, denn er hatte noch keine zehn Minuten im Wasser gelegen.
    Der Arzt hat die Sache schließlich aufgeklärt: Er scheint erwürgt worden zu sein – vorher! … Begreifen Sie? … Und den Funker fand man in seiner Kabine, die hinter dem Schornstein liegt. Sie können sie von hier aus sehen …
    Die Polizisten kamen hierher, durchsuchten sein Zimmer und entdeckten verbranntes Papier.
    Wie soll man aus all dem klug werden? … Zwei Calvados, Julie! Auf Ihr Wohl!«
    P’tit Louis, der sich in immer größere Erregung steigerte, hatte mit den Zähnen einen Stuhl gepackt und hielt ihn in der Horizontalen, wobei er Maigret einen herausfordernden Blick zuwarf. Die Matrosen standen am ihn herum.
    »War der Kapitän von hier?« fragte der Kommissar.
    »Ja. Ein komischer Geselle. Kaum größer und breiter als P’tit Louis. Aber immer höflich und freundlich. Und wie aus dem Ei gepellt! Ich glaube, man hat ihn nie in einer Kneipe gesehen. Er war unverheiratet. Er wohnte in Pension bei einer Witwe, die mit einem Zollbeamten verheiratet war, in der Rue d’Etretat. Es wurde geredet, daß die beiden schließlich heiraten würden … Seit fünfzehn Jahren fuhr er nach Neufundland. Immer für dieselbe Firma: Die Französische Kabeljau-Gesellschaft. Der Kapitän hieß übrigens Fallut, um ihn mal bei seinem Namen zu nennen. Sie sind jetzt ganz schön in Schwierigkeiten. Die ›Océan‹ sollte zurück in die Fanggründe. Aber sie haben keinen Kapitän. Und die Hälfte der Besatzung will nicht mehr auf das Schiff zurück!«
    »Warum nicht?«
    »Das zu verstehen, sollte man sich gar nicht bemühen! Der böse Blick , wie ich Ihnen schon sagte. Man redet davon, das Schiff bis zum nächsten Jahr stillzulegen. Außerdem hat die Polizei die Mannschaft gebeten, sich zu ihrer Verfügung zu halten.«
    »Sitzt der Funker im Gefängnis?«
    »Ja. Sie haben ihn noch am selben Abend mitgenommen, mit Handschellen und allem drum und dran. Ich habe es von der Tür aus beobachtet. Ich will Ihnen ehrlich sagen: meiner Frau kamen die Tränen … und mir auch. Dabei war er gar kein so guter Kunde. Ich habe ihm immer den Preis nachgelassen, und getrunken hat er kaum etwas.«
    Ein plötzliches Krachen unterbrach sie. P’tit Louis hatte sich auf den Bretonen gestürzt, wahrscheinlich, weil dieser ihn hartnäckig vom Trinken abzuhalten versuchte. Sie rollten sich jetzt beide auf dem
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