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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen
Autoren: Iris Strohschein
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konnte.
    Als sie zurück zum Auto gingen, sagte Liebhart: »Ich kann bis heute kaum glauben, dass du auf den Bildern in Frau Toblers Laden das Bilsenkraut und all die anderen Pflanzen, die der alte Fuhrenbacher gesammelt hatte, erkannt und es dir vor allem gemerkt hast.«
    »Das ist mein Beruf. Du fängst Mörder, ich merk mir Bilder.«

24
    Vier Wochen später war der Schatz vollständig untersucht. Rosa hatte zwei Assistenten zugeteilt bekommen, da, nachdem publik geworden war, dass Österreich geraubte Kunstgegenstände aus dem Ersten Weltkrieg restituieren wolle, der zeitliche Druck, die Analysen fertigzustellen, enorm gewachsen war. Nachdem sie ihren Bericht abgegeben hatte, konnten die unausweichlichen juristischen Streitereien losgehen.
    Den August verbrachte Rosa mit Johanna, Yvonne und Ludwig. Sie trafen sich jeden Tag zum Schwimmen. Yvonne klagte, dass wegen der Hitze in Wien nichts los sei und sie auch keine Kunden habe.
    Anfang September zog der Spätsommer in die Stadt. Schon konnte man junge Frauen sehen, die sich voll Freude in ihre neue, farbenfrohe Herbstkleidung warfen. Rosa wusste, dass die Wärme über Nacht verschwinden würde.
    Dann kam der Herbst, die Jahreszeit, die Rosa am liebsten war. Temperaturabfälle innerhalb weniger Stunden um bis zu zehn Grad waren keine Seltenheit mehr.
    Als sie eines Morgens aufstand, um mit Johanna nach Gumpoldskirchen zu fahren, war es schließlich so weit. Sie fuhren die Südautobahn unter einer strahlenden Herbstsonne bis zur Abfahrt Wiener Neudorf. Auf der Bundesstraße 17 warf Rosa einen Blick auf einen Ziegelteich, der knapp vor ihrem Ziel an der von Wienern schlicht »Siebzehna« genannten Straße lag. Der klare Herbsthimmel spiegelte sich im dunklen Wasser, das nach dem heißen Sommer nun die Gelegenheit hatte, sich wieder zu erholen.
    Sie ließen das Auto am Parkplatz Badener Straße stehen und stiegen zum Wasserleitungsweg hinauf. Weinbauern boten dort inmitten der Reben den ersten Sturm des Jahres an. Johanna und Rosa blieben bei ein paar Ständen hängen, tranken den gärenden, trüben Traubensaft und sahen über die sanften Hügel.
    Am Stand des Weingutes Spaetrot-Gebeshuber kamen sie mit der Winzerin ins Reden und bestellten gleich je eine Kiste Zierfandler und eine Kiste Rotgipfler, fruchtige Weißweine, die typisch für diese Region waren. Sie würden sich ihre Einkäufe am Rückweg von der Vinothek am Schrannenplatz in Gumpoldskirchen abholen.
    »Ich nehm auch noch eine Kiste von der ›Großen Reserve‹ von 2007«, trällerte Johanna.
    Rosa fiel der Zungenschlag ihrer Freundin auf, und sie begann zu zweifeln, ob sie den Aufstieg auf den Anninger noch schaffen würden. Sie ließ ihren Blick zum Kirchturm schweifen, der spitz aus den sanften Hügeln ragte. Auf sie wirkte es, als würde zwischen riesigen grünen Lippen eine kunstvolle Zigarettenspitze stecken. Sie kicherte, ihre Wangen begannen von der frischen Luft und vom Sturm zu brennen.
    Die Weinreben an den Hängen des Anningers sahen aus wie mit einem riesigen Kamm gezogen. Es war früher Nachmittag, als sie den Trettenhauerweg beim Wasserleitungshaus betraten und bis zur Waldandacht aufstiegen. Johanna pfiff wie eine alte Dampflokomotive, deswegen setzten sie schweigend einen Fuß vor den anderen. Der Wald hatte sich in Herbsttöne getaucht, und die Hügel und Baumgruppen standen schattenlos und scharf umrandet unter der hellen Herbstsonne. Am Rastplatz bei der Waldandacht nahmen sie auf Holzbänken Platz und sahen einander mit geröteten Gesichtern an.
    »Ich falle jeden Herbst auf diesen verdammten Sturm rein«, keuchte Johanna und lehnte sich erschöpft nach hinten.
    »Du bist halt maßlos.«
    »Du musst was reden. Ich darf dich an die Schweinesache vor eineinhalb Jahren erinnern, beim Schweinefest in St. Pölten.«
    »Ludwig wollte zwanzig Kanister Jauche in meinem Auto transportieren. Ich hab eine ganze Sau kaufen müssen, damit nichts mehr in den Wagen passt, sonst hätte ich mein Auto wegschmeißen können.«
    »Acht Wochen nur Schwein«, fuhr Johanna unbeirrt fort.
    Rosa verdrehte die Augen, stand auf und ging Richtung Beethovenweg, der zur Veigl-Hütte führte.
    »Schweinsbraten, Schweinssulz …« Johanna erhob sich schwerfällig und folgte Rosa.
    Sie gingen einen Waldweg entlang, aus dem die Wurzeln der Bäume wie Adern ragten. Grell flirrte das Licht des Altweibersommers durch die hellen Blätter.
    »Hast du gewusst, dass sich der Name Altweibersommer von den Spinnweben der
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