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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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Claudia. Man bleibt fünf Minuten liegen. Mutter klopft an die Tür und meckert, man sei nie aus dem Bett zu kriegen. Man ist versucht zu entgegnen, es sei kein Wunder, dass es ihr leichtfalle aufzustehen bei den Mengen an Psychopharmaka, die sie sich in den Frühstückskaffee rühre. Um des lieben Friedens willen verkneift man sich diesen Hinweis.
    – Charlie, roll dich endlich da raus!
     
    Früher hat man ungern geduscht. Den Anblick findet man nicht sehr einnehmend, denn um die Hüften schwabbelt es. Außerdem ist man träge. Doch seit man zu zweit Blümchen pflückt und Sonnenuntergänge bewundert, stellt man sich bei jeder Gelegenheit unter die Brause. In Ovids
Ars amandi
hat man gelesen, es sei ratsam, die Geliebte nicht mit der Ziege Gemahl zu belästigen, womit der Bocksgeruch unter der Achsel gemeint ist.
    Während man sich Duschgel auf die Haut schmiert, schmettert man
Jumping Jack Flash
. Den Originaltext, den man nicht auswendig weiß, ersetzt man wie üblich durch spontane Interpretation. Man ist überzeugt, eine schöne Stimme zu haben und alle Töne zu treffen. Dennoch protestiert Mutter durch Schreie und Schläge gegen die Tür. Man stöhnt auf und verstummt, um kurz darauf wenigstens die Melodie weiterzusummen.
    Da die Mutter faul und dem Alkohol ergeben ist, was neben ihrem Hang zur Promiskuität den Vater bewogen hat, das Weite zu suchen, steht auf dem Frühstückstisch nur ein Aschenbecher, aus dem es qualmt. Sie hat vergessen einzukaufen. Oder einen selbst zum Einkaufen zu schicken. Nun redet sie sich heraus, man sei ohnehin schon zu dick und zu pickelig. Je weniger man esse, desto schöner werde die Haut.
    Wenn man verliebt ist, sind derartige Pannen, die andernfalls gleich am Morgen zu einer gehässigen Auseinandersetzung geführt hätten, nicht der Rede wert. Ohne Groll gießt man heißes Wasser in den Kaffeefilter vom Vortag.
    Wie jeden Morgen legt Mutter einen Geldschein auf den Tisch. Zu kochen hat sie keine Lust. Deshalb isst man seit Monaten auswärts. An sich würde einen das nicht stören, kocht Mutter schließlich nicht gerade exzeptionell, doch auch die Küche in den umliegenden Gasthäusern verbessert den Ruf des Viertels nicht. Wortlos schiebt man den Schein in die Hosentasche.
    Da noch Zeit bleibt, kehrt man in sein Zimmer zurück, dreht den Schlüssel um, legt sich aufs Bett und setzt Kopfhörer auf. Gewöhnlich hört man Hard Rock. An diesem Morgen jedoch gleitet man zu John Lennons
Woman
in einen jener Tagträume, denen man sich gern hingibt.
    Man stellt sich vor, man ist stark, schön und besitzt ein Motorrad. Damit fährt man vor der Schule vor. Alle starren einen bewundernd an. Natürlich trägt man keinen Helm, und an den Oberarmen ist man tätowiert. Lässig steigt man ab. Claudia läuft herbei. Man umarmt und küsst sie. Alle schauen zu. Das Motorrad ist eine Riesenmaschine, wie man sie aus Hippiefilmen kennt. Claudia nimmt auf dem Sozius Platz, man dreht eine Runde, verfolgt von den neidischen Blicken sämtlicher Mädchen der Schule.
    Erst wenn die Tür aufgebrochen wird und Mutter gestikulierend im Zimmer steht, merkt man, dass man den Stecker desKopfhörers falsch angesteckt und somit auch das ganze Haus mit betäubender Lautstärke beschallt hat. Mit einem Hieb schaltet sie die Stereoanlage aus. Einen Blick auf die aus den Angeln gerissene Tür werfend, drückt man sich an Mutter vorbei. Man beeilt sich, zum Bus zu kommen. In der Schule wartet Claudia.
     
    Kurz nach dem sechzehnten Geburtstag hat man sich verliebt. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal wird diese Liebe erwidert. Also ist es die erste Liebe.
    Da man nach einigen Zurückweisungen nicht mehr wählerisch ist, handelt es sich bei Claudia keineswegs um die Klassenschönste. Auch nicht zu den hübschesten Fünf darf man sie zählen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, wird sie von den wenigsten als attraktiv bezeichnet werden. Und um ganz ehrlich zu sein, sieht sie mit ihrem Mondgesicht und ihrer Krankenkassenbrille aus wie die Fliege Puck. Aber was soll man machen. Man liebt, was man kriegen kann. Und da sie ein Hippie ist und nett und für ihr warmherziges Wesen bekannt, begnügt man sich mit dem, was einem das Schicksal zugewiesen hat.
    Man trifft sie vor der Schule. Bange fragt man, ob sie einen noch liebt.
    – Natürlich liebe ich dich. Du bist die große Liebe meines Lebens.
    – Und du meine.
    Hach!
    Hand in Hand macht man sich auf den Weg zur Klasse.
    Im Klassenzimmer umarmt und küsst man
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