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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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Maschinengewehre?
    Da hat er einen allerdings an der schwachen Seite erwischt. Verflixt, man wusste ja, dass es das Wort gibt. Doch mit Improvisationstalent kann man jede Situation retten.
    – Aufputscher. Uzis werden sie genannt, weil sie wirken wie ein Maschinengewehr, ratatatatata, so geht das im Kopf hin und her.
    – Ach richtig. Und warum machst du das?
    – Hab’s gebraucht.
     
    Merke: Wenn man sich für keine Albernheit zu schade ist, entstehen Legenden.
     
    Sobald Harry gegangen ist, schüttet man den entsetzlichen Kaffee weg und nimmt sich einen Apfelsaft. Der Aschenbecher wird geleert, das Fenster geöffnet. Die Musik macht einen allmählich wahnsinnig, sie wird abgestellt. Da man sich nun schrecklich einsam fühlt, ist der Genuss einer Tafel Schokolade erlaubt, obwohl man schon gut zehn Kilo zuviel hat.
    Man sieht unter Flutlichtbedingungen fern. Jedoch achtet man darauf, rechtzeitig ins Bett zu gehen, um einer Konfrontation mit der angetrunken heimkommenden Mutter auszuweichen. Zu essen hat es außer Chips und Pralinen und Kuchen und Eis nichts gegeben. Man verschiebt die Nahrungsaufnahme auf den folgenden Tag.

 
    Ich glaube es einfach nicht, sagt Paul.
    – Ich auch nicht.
    Da Mutter »krank« ist, muss man Nero ausführen. Die Nachbarin hat eine junge Katze, die durch den Hof schleicht. Seit Nero die Katze gesehen hat, dreht er durch. Er verfolgt sie durch den Garten, aber keineswegs, um sie zu beißen. Mit den Vorderbeinen bringt er sie in die passende Stellung, und dann bemüht er sich, das Kätzchen zu vergewaltigen. Er hat schon ein paar Ohrfeigen von ihr bekommen, doch er probiert es immer wieder.
    Man sitzt mit Paul vor dem Haus und verfolgt das Schauspiel.
    – Ist er nicht kastriert?, fragt Paul.
    – Weiß nicht. Glaube schon.
    – Aber was tut er dann da?
    – Ich bin mir nicht sicher.
    Man zieht Nero ein weiteres Mal von der Katze weg. Er gehorcht, doch schon nach ein paar Minuten wandelt er wieder auf Freiersfüßen. Es ist drollig, die Qual des Hundes zu beobachten, seine Zerrissenheit, wie er sein Opfer umschleicht, eine Pfote hebt, sich dann in den Kampf wirft oder doch noch einmal zurückzuckt.
    – In einem Jahr frisst sie ihn, behauptet Paul.
    – Das dauert kein Jahr mehr.
    Um das Ganze nicht auf die Spitze zu treiben, bringt man den Saukerl zurück ins Haus. Paul verabschiedet sich. In entschuldigendem Ton sagt er, er müsse lernen, er wolle nicht noch einmal sitzenbleiben. Man nickt ihm zu.
    Nachdem der Triebtäter an seinen Platz in der Küche zurückgebracht worden ist, schneidet man sich eine Scheibe Brot ab, öffnet eine Dose Sardinen und setzt sich vor den Fernseher. Den Ton dreht man leise. Man ist müde. Der Tag war anstrengend. Man macht es sich auf dem Sofa gemütlich und hofft, dass Mutter die Nacht durchschläft. Man liebt sie und wird von ihr geliebt, und nüchtern ist sie durchaus zu ertragen. Aber ihre Anfälle lassen einen erzittern.
    Mitten in der Nacht erwacht man. Was einen geweckt hat, weiß man nicht. Man hatte einen Albtraum, in dem Tante Ernestine eine Rolle spielte. Im Schock wickelt man sich aus der Decke, springt vom Sofa hoch und versucht sich zu orientieren.
    Wenn aus Mutters Schlafzimmer Geräusche dringen, ist es für das Seelenheil eines Jugendlichen vorteilhaft, wenn er zu schlaftrunken ist um zu verstehen, was da vor sich geht.
    Man trinkt einen Schluck abgestandene Limonade. Was war in dem Traum? Tante Ernestine ging es schlecht. Sie brauchte Hilfe.
    Mit ausgestreckten Händen tappt man über den dunklen Flur. An der Schlafzimmertür lauscht man. Mutter hat Besuch.
    Noch immer im Halbschlaf, kehrt man ins Wohnzimmer zurück. Was war da mit Tante Ernestine?
    Da man mit knapp siebzehn Jahren noch nicht lange fackelt, sitzt man drei Minuten später auf seinem Moped und ist unterwegs zu ihr. Beim Gedanken, ihr könne etwas zugestoßen sein, dreht sich einem der Magen um. Sie ist siebenundneunzig. Gewiss wird sie einmal sterben. Man hofft, es wird nicht so bald sein. Nicht jetzt, nicht heute nacht.
    Die kalte Nachtluft macht den Kopf allmählich klarer. Als man vor Tante Ernestines Haus ankommt, fragt man sich, wie spät es eigentlich ist. Man blickt auf die Armbanduhr.
     
    Merke: Wenn man um halb drei Uhr nachts vor dem Haus eines Familienmitglieds ankommt, von dem man telepathisch zu Hilfe gerufen worden ist, fragt man sich, wie man nun weiter vorgehen soll.
     
    Weil alle Fenster dunkel sind, zögert man, einfach zu klingeln. Da fällt einem
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