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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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teuflisch starken Zigarette aufleuchtet, und lauscht dabei der Led-Zeppelin-LP
Houses Of The Holy
.
    In Situationen wie dieser kommen die Tagträume von allein.
    Man sitzt rauchend und mit einer Flasche Alkohol auf einer Bank vor der Schule. Andere Schüler gehen achtlos vorbei. Man summt vor sich hin, man steht über den anderen, und es ist einem egal, was sie denken. Da kommt Jimmy Page vorbei, er macht Urlaub und fährt durch Europa. Er setzt sich auf die Bank. Unbeeindruckt summt man weiter. Jimmy ist so hingerissen, dass er mitswingen muss, ob er will oder nicht. Man unterhält sich mit Blicken. Da ist ein tiefes Einverständnis. Zwei verwandte Seelen treffen sich. Leider muss Jimmy weiter, aber jeder schreibt sich die Telefonnummer des anderen auf.
     
    Merke: Wenn man mit schwarzem Kaffee und Zigaretten in seinem dunklen Zimmer sitzt, sehnt man sich sehr nach Jimmy Page.
     
    Da niemand zugegen ist, um dieses Stillleben zu bewundern, ruft man Harry an und bittet ihn, vorbeizukommen. Solche Manöver hat man leider nötig. Man sollte sich stets ein objektives Selbstbild bewahren: Wenn man weiß, dass man nicht gerade ein Leitwolf ist, sondern nur ein allseits geschätztes Dickerchen, hat man sich dann und wann mit Geheimnissen zu umgeben.
    Rätselhafte Persönlichkeiten sind nie einsam. Sie brauchen nur die Hand auszustrecken, sofort eilt jemand herbei, der noch weniger zum Leitwolf taugt.
    Einige Zeit, nachdem man die Musik leiser gedreht hat, läutet es. Sogleich schaltet man wieder lauter. Die Tür öffnet man mit zerstreuter Miene, auf der sich zugleich Weltschmerz spiegelt. Wortkarg bittet man den Freund, ins Zimmer zu folgen. Eineglückliche Fügung hat die Mutter auf eine Sauftour gehen lassen, wodurch sie die Zusammenkunft nicht torpedieren kann.
    Verflucht!
    Man hat vergessen, Bücher von Autoren mit klingenden Namen aufgeschlagen herumliegen zu lassen.
    – Tu mir den Gefallen und hol dir dein Glas selbst. In der Küche.
    In Windeseile drapiert man den
Zarathustra
diskret an den Rand des Tisches. Dann gewährt man dem Besuch Einlass.
    Harry will wissen, was mit der Zimmertür passiert sei. Man antwortet, man habe sie in einem Anfall herausgetreten, aber das werde nächste Woche repariert.
    – In einem Anfall? Was für ein Anfall?
    Man brummt vor sich hin, man wolle lieber nicht darüber reden.
    Nun ist das Glas überflüssig, was soll man mit einem Glas, wenn es um Kaffeetrinken geht. Man tut, als sei man verwirrt, was ja allen begabten Menschen nachgesagt wird. Aus der Küche holt man extra starken Kaffee. Harry bekommt auch eine Zigarette. Die wird ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit überfordern. Sie abzulehnen wagt er jedoch nicht.
    Das Gespräch zu eröffnen, fällt einem nicht ein. Erstens muss man so tun, als stehe man unter Tabletteneinfluss, wie es sich für einen sensiblen Menschen gehört. Zweitens handelt es sich hier nicht um einen Kindergeburtstag mit guter Laune und Geschwätz, sondern um das Zusammentreffen zweier Personen, die bereits an der Schwelle zur späten Adoleszenz stehen.
    Im Bewusstsein, sich auf dünnem Eis zu bewegen, rüttelt Harry einen schließlich am Knie und brüllt schüchtern, ob es nicht vielleicht zu dunkel sei, so ganz im Dunkeln, da es zweifelhaft bleibe, wo der andere sich befinde. Außerdem sei die Lautstärke der Musik dazu angetan, Schädeldecken bersten zu lassen. Ob man vielleicht leiser drehen und ein klein wenig Lichtmachen könne, und Musik und Kaffee wie auch die Zigarette seien delikat. Im Übrigen huste er wegen einer Erkältung.
    Man macht deutlich, als Gastgeber den Wünschen seines Besuchs entgegenkommen zu müssen, auch wenn sie mit den eigenen nicht konform gehen, und schaltet die Tischlampe an, deren Schein – auf den
Zarathustra
fällt.
    Das weitere Gespräch ist nicht mehr wichtig. Tatsächlich kann man nur mehr verlieren, den bisherigen Eindruck abschwächen. Insbesondere, wenn man den Mund aufmacht.
    – Vielleicht solltest du besser gehen. Entschuldige, dass ich dich hergebeten habe.
    – Was ist denn los, Charlie?
    – Nichts. Hab mir drei Fincis eingeworfen.
    – Was sind denn Fincis?
    – Beruhigungstabletten. War etwas aufgekratzt.
    Harry reibt sich bewundernd das Kinn. Aus glasigen Augen starrt man ihn an. Man überlegt, ob man speicheln sollte, entscheidet sich jedoch dagegen. Es könnte übertrieben wirken.
    – Das heißt, du bist müde?
    – Wäre ich gern. Aber ich habe dann zwei Uzis genommen.
    – Uzis? Sind das nicht
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