Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Inseln im Strom

Wie Inseln im Strom

Titel: Wie Inseln im Strom
Autoren: Kathleen O`Brien
Vom Netzwerk:
noch, es war egoistisch und rücksichtslos. Ich war so sehr damit beschäftigt, meinen eigenen Träumen nachzujagen. Ich schätze, ich dachte, du würdest notfalls für immer auf mich warten – bis ich die Träume verwirklicht hatte. Auf die Idee, dass ich dadurch meinen größten Traum zerstöre, bin ich nie gekommen.”
    Seine Stimme klang leidenschaftslos, dennoch drehten die anderen Passanten sich neugierig nach ihnen um. Aber das war ihm egal. Wenigstens hörte Lacy ihm zu.
    “Aber jetzt bin ich nicht ganz so dumm, Lacy. Als ich gestern meine Koffer packte, um nach New York zurückzukehren, merkte ich plötzlich, dass ich es nicht konnte. Allein der Gedanke, dich hier zurückzulassen und ohne dich fortzugehen, hat mich fast umgebracht. Und dann wurde mir klar, wie ich wirklich fühle.”
    “Und wie ist das?”, fragte sie und klang nicht besonders beeindruckt.
    “Mir ist gleichgültig, was geschehen ist, als ich nicht hier war. Es spielt einfach keine Rolle mehr. Ich will keine Einzelheiten wissen. Ich will keine Erklärung hören. Weil ich dich kenne, Lacy. Ich weiß, dass du sanftmütig und liebevoll bist. Und mehr Ehrgefühl und Mut hast als jeder andere Mensch, den ich kenne. Was immer du getan hast, du hast es getan, weil du glaubtest, keine andere Wahl zu haben. Die einzige Wahl, die ich dir gelassen hatte.”
    Sie schluchzte leise auf, und er zuckte zusammen. Hatte er das Falsche gesagt? Hektisch suchte er nach einer anderen Formulierung. Irgendwo in ihm musste doch der Satz stecken, der sie überzeugen, ihren Eispanzer zum Schmelzen bringen würde …
    “Lacy, können wir denn die Vergangenheit nicht einfach vergessen?”, beschwor er sie. “Irgendwie. Was du getan hast, was ich …”
    “Ich habe nichts getan”, unterbrach sie ihn.
    Besorgt sah er sie an. Ihre Hände hatten zu zittern begonnen. Ihre Augen schimmerten.
    “Lacy.” Er würde es nicht ertragen, ihre Tränen zu sehen. Hatte sie denn nicht genug geweint – genug für ein ganzes Leben? Wenn sie es zuließ, würde er alles dafür tun, dass sie nie wieder weinte. “Lacy, es ist gut. Ich schwöre dir, es ist nicht mehr wichtig.”
    “Ich habe nichts getan”, wiederholte sie, als hätte sie ihn gar nicht gehört. Plötzlich sah sie so verloren aus, mit großen verletzlichen Augen, als wäre sie dazu verurteilt, dass die Vergangenheit sich unaufhörlich wiederholte. “Ich will es dir erzählen, Adam. Hältst du es aus, mir zuzuhören?”
    “Natürlich”, antwortete er und hoffte inständig, dass er es wirklich konnte. “Natürlich halte ich es aus.”
    Vorsichtig stellte sie die Salatbox auf den Absatz unter dem Schaufenster. Dann zog sie die Hand langsam aus seiner und setzte sich daneben, ganz in die Ecke, als hätte sie Angst, nicht mehr stehen zu können, wenn sie ihre Geschichte erzählte.
    Oben in der Box lagen rote und grüne Paprikastückchen, die im dunkler werdenden Abendrot langsam immer grauer aussahen. Sie strich mit den Fingern über den durchsichtigen Deckel. Schließlich holte sie tief Luft und begann.
    “Es war nicht meine Entscheidung, unser Kind nicht zur Welt zu bringen, Adam. Es war eine dieser schrecklichen unvorhersehbaren Katastrophen.” Sie schluckte mühsam. “Ich war erst im vierten Monat. Noch so früh. Trotzdem fühlte sich das Baby schon so wirklich an. Ich konnte mir genau vorstellen, wie es aussehen würde. Wie du, hoffte ich. Mit deinen blauen Augen.”
    Sie schüttelte den Kopf. “Mehr wollte ich ja gar nicht – eines Tages wollte ich wieder in deine blauen Augen sehen.”
    Er ging näher an sie heran, in den Schatten, der auf sie fiel. Er war nicht sicher, ob er sprechen konnte.
    “Sie konnten mir nie sagen, woran es lag. Sie wussten es wohl einfach nicht. Ich fing einfach an zu … bluten.” Sie schloss die Augen. “Und es tat so weh.”
    “Lacy.” Ihm wurde kalt. “Lacy, nicht.”
    “Malcolm brachte mich ins Krankenhaus, sobald er konnte. Er hat alles getan, was in seiner Macht lag, obwohl er das Baby nie gewollt hatte. Das hat er wirklich. Aber die Ärzte konnten nichts machen. Die Schmerzen wurden immer schlimmer.”
    Wieder schüttelte sie den Kopf, als könne sie es noch immer nicht fassen. “Und dann war es vorbei. Einfach so. Das kleine Wesen, das Einzige, was mir von dir noch geblieben war …”
    Adam stieß einen erstickten Laut aus, ging vor ihr die Knie und zog sie an sich.
    “Oh mein Gott”, flüsterte er heiser. “Mein Liebling …”
    Einige Sekunden lang saß sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher