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Wie Inseln im Strom

Wie Inseln im Strom

Titel: Wie Inseln im Strom
Autoren: Kathleen O`Brien
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auch noch ausgerechnet dann ein, als sie gerade zu ihrer Höchstform auflief.
    Sie streichelte sein weiches Fell und beneidete ihn um seinen friedlichen Schlaf, während sie verzweifelt mit ihrer Angst kämpfte. Wie lange wollte Adam auf Pringle Island bleiben? Und wie sehr konnte er ihren mühsam errungenen Seelenfrieden gefährden, bevor er die Lust an diesem Spielchen verlor und wieder in die weite Welt hinausjettete?
    Lacy presste das Gesicht ins Kissen. Was sollte sie nur tun?
    Als endlich der Morgen graute, strampelte sie sich aus den zerknüllten Laken frei. Sie hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit und den Anblick, der sich ihr im Spiegel bot – verquollene Augen und zerzaustes Haar.
    Plötzlich, unerwartet und viel zu spät meldete sich ihr Stolz zurück. Das hier war nicht Lacy Morgan. Das hier sah eher nach der bemitleidenswerten Lacy Mayfair aus. Und die wollte sie nicht mehr sein – sie hatte zu sehr kämpfen müssen, um das einsame kleine Mädchen endgültig hinter sich zu lassen. Gestern Abend hatte Lacy Mayfair Adam Kendall das letzte Wort gelassen, aber dieser neue Tag gehörte Mrs. Malcolm Morgan.
    Und … was würde sie daraus machen? Sie würde tun, was sie immer getan hatte. Sie würde ihre eigene Haut retten, was sonst? Sie würde die Lektionen beherzigen, die sie in den vergangenen zehn Jahren gelernt hatte. Lektionen über Mut, über Verdrängung, über Durchhalten. Sie würde sich einen Eispanzer zulegen, den selbst Adam Kendalls blaue Augen und warme Finger nicht durchdringen konnten.
    Zum ersten Mal seit zehn Jahren war sie wirklich frei. Das Gewitter, das so lange am Horizont gedroht hatte, war endlich über sie hereingebrochen. Nachdem sie Adam so lange nur in ihren Träumen gesehen hatte, war sie gezwungen gewesen, mit ihm zu sprechen, ihm in die Augen zu schauen und seine Finger an ihrer Haut zu fühlen.
    Es hatte geschmerzt, aber sie hatte überlebt. Das Schicksal hatte seine letzte Kugel auf sie abgefeuert – und sie verfehlt. Sie brauchte nun endlich keine Angst mehr zu haben.
    Zwei Stunden später hatte eine Creme ihre geröteten Augen beruhigt. Ein kleiner silberner Clip hielt ihr Haar in dem üblichen Nackenknoten, und ein elegantes blaues Kostüm vervollständigte das Bild der souveränen Karrierefrau, als sie im Krankenhaus eintraf.
    Keine Angst mehr. Jetzt konnte sie sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Spenden sammeln, Krisen im Büro bewältigen, mit glücklichen Eltern für Fotos posieren. All das konnte Lacy Morgan, PR-Chefin des Allgemeinen Krankenhauses von Pringle Island, im Schlaf.
    Lacy lächelte der Familie zu, die sie gerade fotografiert hatte – stolzer Vater, strahlende Mutter, zappelndes Baby. Sie gab dem Mann den Fotoapparat zurück. Ja, dachte sie, das ist es. Mein Leben.
    “Würden Sie das Baby halten, Mrs. Morgan? Wir möchten unbedingt ein Foto von Ihnen beiden. Ohne Sie hätten wir das alles nicht durchgestanden.”
    Natürlich tat Lacy ihnen den Gefallen. Das Baby hatte drei Wochen lang im Brutkasten gelegen. Die Kleine war eine Kämpfernatur, und jetzt durfte sie endlich nach Hause. Lacy flüsterte ihr Koseworte zu, als die winzigen Finger sich um ihren Daumen krümmten.
    Wenn das Krankenhaus erst über eine eigene Station für Neu- und Frühgeborene verfügte, würde eine solche Erfolgsgeschichte nichts Besonderes mehr sein. Jeden Tag ein kleines Wunder, und sie würde daran teilhaben. Keine Frage, es war ein sinnvolles und erfülltes Leben. Auch wenn keins der kleinen Wunder ihr gehören würde …
    Das Baby begann zu weinen, und langsam taten Lacy die Augen vom vielen Blitzlicht weh.
    “Mr. Rosterman, vielleicht sollten Sie …”
    “Lacy?”, ertönte plötzlich Kara Karlins besorgte Stimme. “Kann ich dich einen Moment sprechen?”
    Lacy drehte sich zu ihrer Kollegin um. Karas Stirn lag in tiefen Falten, und ihre Lippen waren gespitzt. Irgendetwas stimmte nicht. Die Eltern des Babys waren damit beschäftigt, einen neuen Film einzulegen, also strich sie dem Kind beruhigend über den Kopf und ging zu Karla.
    “Lacy, ich störe dich nur ungern, aber gerade ist das Allerschlimmste passiert.”
    Lacy lächelte. Kara war fast fünfzig und eine erfahrene Mutter von vier Kindern, aber sie neigte zur Übertreibung wie ein Teenager. Alles, was ihr widerfuhr, war entweder das Allerschönste oder das Allerschrecklichste. Dazwischen gab es nichts. Nur Höhen und Tiefen. Für Lacy dagegen gab es immer nur das Mittelmaß ohne allzu große Ausschläge
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