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Eifel-Sturm

Eifel-Sturm

Titel: Eifel-Sturm
Autoren: Jacques Berndorf
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Erstes Kapitel
    Wie war Driesch in den Fluss gekommen? – Egal, er war im Wasser, er hetzte flussabwärts durch die Schlucht, die die alten Monschauer Handwerkerhäuser bildeten. Nur wenige Stunden zuvor waren noch Tausende von Touristen über die beiden Brücken geschlendert, die dicht nebeneinander das Wasser der Rur überspannten – links, wenn man vom Marktplatz kam, die Straßenbrücke, rechts die Fußgängerbrücke, die zur evangelischen Kirche führte. Jetzt, in der Dunkelheit, war Driesch mutterseelenallein. Nein, nicht ganz allein. Denn da lief hinter ihm sein Mörder, dicht hinter ihm.
    Oder hatte der Mörder auf einer der Brücken gestanden und ganz einfach auf ihn gewartet? Dann hätten allerdings die Schusskanäle von oben nach unten verlaufen müssen. Aber das wurde nirgendwo erwähnt, weder in der Aachener Volkszeitung noch in der BILD. Die Aachener titelte: Bundestagsabgeordneter Driesch erschossen! Und in der BILD stand: Sechs Schüsse bis zum Tod!
    Es war morgens um neun Uhr, es war sehr heiß. Hinter mir an der Mauer drehte sich der Wassersprenger, das Dorf war still. Mein kleiner Kater Satchmo lag auf meinem Bauch und schlief fest, seine beiden Erziehungsberechtigten Paul und Willi ruhten unter der Liege im dichten kühlen Gras. Zwei Meter von mir entfernt tummelten sich die Goldfische und Koikarpfen im Flachwasser des Teiches und hatten anscheinend einen Mordsspaß daran, sich schwanzschlagend seitwärts über eine schmale Zunge aus Moorerde treiben zu lassen, um dann durch einen nur zehn Zentimeter breiten Kanal zurück in das tiefere Wasser zu gelangen. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, ob Fische miteinander spielen und wie sie das machen. Jetzt wusste ich es, sie unternahmen einen Ausflug in den Sauerstoff.
    Jakob Driesch, was trieb dich um vier Uhr früh in das kalte Wasser des Gebirgsflüsschens in dem wildromantischen Monschau? Warum hast du nicht in deinem warmen Bett in Schieiden neben deiner warmherzigen Frau gelegen?
    Das Bild von Jakob Driesch nahm noch einmal in meinem Kopf Gestalt an: ein langer, hagerer Mensch mit einem Raubvogelgesicht, aus dem gütige Augen immer ein wenig staunend in die Welt blickten. Ein Mensch, der bedächtig war, schnellen Lösungen misstraute, ein Bauer, der gern wachsen sah, was er säte. Ein Mann, der mir einmal auf einem Spaziergang gesagt hatte: »Der Weg zum lieben Gott ist sehr weit. Meistens dauert er ein Leben lang und du hast keine Zeit mehr, das Ergebnis zu genießen.«
    Etwa einsachtzig groß, grau gewordene, widerborstige Haare, ein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht, ungewöhnlich schmale und langgliedrige Hände – die Hände eines Pianisten. Ja, das Klavier war tatsächlich sein Hobby gewesen. Das Klavier und der frühe Beat aus New Orleans. Ich erinnerte mich an einen Sonntagnachmittag, als er unvermittelt aufgestanden war, sich auf den Hocker vor dem Instrument setzte, sich räusperte, gegen die Decke blickte und dann mit ›Basinstreet‹ losfegte, als handele es sich um ein Gebet.
    Weshalb hatte ich ihn damals eigentlich besucht? – Ja, richtig, ich hatte mich für Windenergie interessiert, für diese faszinierenden Flügelräder auf den meist westwärts geneigten Hängen der Eifel, wo sie die Winde vom Atlantik her besonders gut auffangen. Jakob Driesch war ein leidenschaftlicher Verfechter dieser Art von Energiegewinnung gewesen. Er hatte mit vibrierendem Bass gedonnert: »Die Windräder sind keine Reklame für Mercedes, sie sind eine verdammt gute Möglichkeit, mit relativ kleinem Aufwand an Strom zu kommen. Aber diese Scheißmanager der großen Stromversorger haben was dagegen.« Eine seiner hübschen Töchter hatte daraufhin gemahnt: »Papa, du wirst ausfällig!«, und er hatte gegrinst: »Du hast Recht, Mädchen, aber Gott ist mit mir, denn er schickt den Westwind!« Und seine Frau Anna hatte ihn liebevoll angeblickt und so ausgesehen, als wollte sie ihn erst umarmen und dann sofort mit ihm ins Bett. Eine bemerkenswerte Familie um einen bemerkenswerten Mann.
    Politisch hatte Driesch die Christlichen vertreten. Er hatte einmal geäußert: »Ich bin altmodisch, ich verlasse mich immer wieder auf meinen Herrgott.« Er war allerdings, wenn ich das richtig beurteilte, immer ein Stachel im Fleisch dieser Christlichen gewesen. Er scheute sich nicht vor Aussagen wie: »Wer so dämlich ist, das Leben eines Homosexuellen als widernatürlich zu bezeichnen, darf sich nicht wundern, dass ihm nichts übrig bleibt, als zu onanieren.«
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