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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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den Berg hinunter, kürzen übermütig die Kurven der Straße ab, hopsen fröhlich über Felsen und Wasserläufe und bleiben plötzlich überrascht stehen: zwischen den Wäldern im Talgrund glänzen die Dächer von Roncesvalles — unfassbar, unser Ziel ist sichtbar nah.
    Aber vorher endet die Einsamkeit der Berge an der Schnellstraße im Tal, am Pass Col de Ibañeta, wo französische Touristen Würstchen essend von ihrem Reisebus zu einem großen Denkmal schlendern. Wofür steht das hier? So, so, wir sind am Schauplatz der historischen Rolandsschlacht. Was war hier wann los? Wir wissen es beide nicht, ich muss nachlesen:
    Im Jahr 7 78, zu einer Zeit als das Grab von Sankt Jakobus noch nicht entdeckt worden war, soll der deutsche Kaiser Karl der Große in einem Traum vom Heiligen Jakobus aufgefordert worden sein, den ,Sternenweg’ nach Compostela von den Heiden frei zu kämpfen. Die Sarazenen hielten damals einen großen Teil Spaniens besetzt. Tatsächlich zog er mit wechselhaftem Glück in den Krieg und beendete seinen Feldzug hier, an diesem Pass. Hier steckte er ein Kreuz in den Boden und schaute in Richtung Compostela zurück. Seine Nachhut aus 12 Rittern, angeführt von seinem Neffen Roland, wurde von aufrührerischen Basken überfallen und nach heldenhafter Schlacht getötet. Dieser Kampf wurde im 11. Jahrhundert im berühmten französischen Rolandslied besungen, doch wurden die Angreifer aus politischen Gründen darin von Basken zu Mauren. Rolands Ruhm als Held verbreitete sich in ganz Europa, und das Abendland sah seitdem Karl den Großen als den Wegbahner nach Santiago de Compostela an.
    Auch unterhalb des Denkmals, wo jetzt eine moderne Kapelle steht, ist ein geschichtsträchtiger Ort. Hier stand das Kloster und Hospiz San Salvador, dessen Mönche seit dem 11. Jahrhundert bei Dämmerung, Schneesturm und Nebel anhaltend die Glocken läuteten, um Pilgern den Weg ins Tal zu weisen. Gut, dass diese wilden Zeiten vorüber sind, unser Weg ist sicher und gut markiert, führt bergab in einen herrlichen Wald, direkt nach Roncesvalles. Nur noch 2 Kilometer durch die Schlucht eines Wildbaches, dann ragen vor uns hohe, abweisende Mauern auf. Gelbe Pfeile leiten uns durch ein Tor, und wir betreten nach 8 Stunden Wanderung den Hof des historischen Klosters.
    Ich zittere vor Aufregung, alle Anspannung fällt von mir ab. Jetzt kann mir nichts mehr passieren, meine Angst ist fort. Ich bin ganz sicher, wenn ich bis hierher gekommen bin, werde ich auch Santiago de Compostela erreichen. Ja, und dann laufen meine Tränen, bin ich berührt und stolz wie selten.

    Stell dir einfach ein breites Grinsen im Herzen vor, und darüber Gänsehaut vor Glück...

    Der Klosterhof ist still und menschenleer. Wo sind all die Wanderer, die uns heute überholt haben? Wohin müssen wir jetzt?
    Ein Tor in einer der großen, grauen Mauern der Abtei steht offen, neugierig gehen wir hinein und sind anscheinend richtig. Ein Mensch, der uns nicht versteht und den wir nicht verstehen, zeigt uns ein großes Zimmer mit einigen Betten, wir können duschen und endlich liegen und ausruhen. Doch ich brauche keine Ruhe, fühle mich nicht erschöpft, sondern aufgekratzt, möchte hinaus, erkunden, wo wir sind.
    „Ihr müsst euch in Roncesvalles gleich nach der Ankunft zum Pilgermenü anmelden, sonst bekommt ihr nichts zu essen, es gibt dort keinen Laden.“ Irgendjemand hat uns diesen Hinweis gegeben, also los, ein Restaurant suchen, und dann schauen, wann heute Abend der traditionelle Pilgergottesdienst stattfindet, wo wir den Reisesegen bekommen werden.
    Zu meiner Überraschung gibt es keinen Ort, nur eine Ansammlung von Gebäuden für Wallfahrer: Ein Augustinerkloster aus dem 12. Jahrhundert mit einem schönen Kreuzgang und einem düsteren Saal mit dem Grab Sanchos des Starken und seiner Frau, den Stiftern des Ortes. Daneben liegt die prächtige Stiftskirche und ein Museum, das ich nach kurzer Zeit verwirrt verlasse. Ich kann heute nichts mehr aufnehmen, und die Geschichte Navarras mit ihren Königshäusern, Schlachten und politischen Intrigen überfordert mich. Es genügt, wenn ich die schlichte gotische Jakobuskapelle und das arkadenumgebene Beinhaus Sancti Spiritus von außen ansehe. Es wird Silo de Carlomagno genannt, weil hier der Legende nach der Held Roland und seine Ritter beerdigt sein sollen. Tatsächlich wurden hier früher Pilger beigesetzt, die an den Strapazen der Pyrenäenüberquerung gestorben sind.
    Ein lang gestrecktes Natursteingebäude
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