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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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auf der anderen Straßenseite weckt meine Neugier, doch als ich hinübergehe und hineinschaue, zucke ich schockiert zurück: In einem Riesensaal voller Menschen, Unruhe und Stimmengewirr stehen drei Reihen mit jeweils mindestens 30 Doppelstockbetten. Hier ist das Refugio, die offizielle Pilgerherberge — wir sind zufällig in der Jugendherberge gelandet. Wie gut, denn mit so vielen Menschen in einem Raum zu schlafen, erscheint mir unvorstellbar.
    Draußen winkt das junge Paar von gestern Abend müde von einer Restaurantterrasse: „Wir haben uns einer Schweizer Bergsteigerin angeschlossen und wollten mithalten. Das machen wir nie wieder, sie war zu schnell für uns.“ Die zwei sind völlig kaputt, wir alten Muttis haben den Weg besser überstanden, setzen uns ein wenig stolz dazu, trinken Cola und Kaffee, fühlen uns fremd und durcheinander, beobachten das Geschehen rundherum, das Kommen und Gehen anderer Wanderer und hängen unseren Gedanken und Gefühlen nach, bis es Zeit für das Sieben-Euro-Pilgermenü ist. Die mäßige Qualität der Forelle ist mir heute egal, und Maja tröstet sich mit der dazugehörenden Flasche Rotwein.
    Danach gehen wir endlich zur Messe, die ich mit Spannung erwarte, in einen über und über geschmückten Kirchenraum, dessen Pracht von einem Standbild der Mutter Gottes von Roncesvalles aus Gold, Silber und Edelsteinen überstrahlt wird. Wir setzen uns zwischen Pilger jeden Alters und jeder Nationalität in eine unbeschreibliche Atmosphäre, in der Sehnsucht, Hoffnung und Glauben schwingen. Drei Priester zelebrieren einen ergreifenden, feierlichen Gottesdienst, an dessen Ende sie jeden von uns in seiner Sprache segnen, uns Pilger — Peregrinas und Peregrinos — Gottes Obhut anvertrauen und uns einen guten Weg wünschen. „Buen camino“.

    Ich war tiefbewegt und gerührt wie selten. Als hätte ich eine unsichtbare Grenze zwischen zwei Leben überschritten, hatte ich den Alltag und Euch alle hinter mir gelassen und gehörte plötzlich zu einer besonderen Gemeinschaft.

Der Weg durch Navarra von den Pyrenäen bis Logroño

Ein richtiger Pilger?
Roncesvalles — Viscarret > 13 km

    Heute regnet es wirklich. Und wie. Hinter dem vergitterten Fenster zucken pausenlos Blitze am schwarzblauen Himmel, Donner kracht scheppernd in diese Weltuntergangsstimmung. Scheinbar ist noch tiefste Nacht, doch unsere mürrischen Zimmergenossen sind schon leise fortgegangen, es ist halb acht. Schon halb acht! Müde kuschele ich mich in meinen gemütlichen Schlafsack, genieße die Wärme und Geborgenheit und bin nur froh, dass ich nicht im Refugio bin. Da müsste ich jetzt wie die anderen armen Menschen in dieses Unwetter hinaus. Hier drängt uns niemand, wir brauchen nicht um 8 Uhr aufzubrechen, können die Augen noch mal zu machen und uns Zeit lassen.
    Unser erstes Frühstück essen wir im Bett: Kaltes Wasser mit Frubiase, Müsliriegel und trockenes Brot von gestern. Dann pflegen wir unsere Körper, massieren die Beine und dehnen uns. Es geht mir gut, ich habe weder Muskelkater noch Schmerzen, doch Maja muss mehr als eine Blase verpflastern. Wir räumen die Rucksäcke auf, werfen die ersten überflüssigen Dinge weg und packen jetzt schon viel routinierter. Die Sachen bekommen neue oder feste Plätze, doch das meiste werden wir heute anziehen, es ist nicht nur nass draußen, sondern auch kalt.
    Heut beginnt unser Wanderalltag. „Wie weit wollen wir gehen?“ Maja liest aus unserem Reiseführer vor. „Die nächste Herberge ist in Zubiri, 23 Kilometer entfernt. Ziemlich weit, aber in den Orten unterwegs gibt es überall Unterkünfte. Lass uns einfach losgehen und sehen, wie weit wir kommen.“

    Als der Regen nachlässt, nehmen wir unser Gepäck und gehen durch die Klostergänge hinüber zur Bar, um richtig zu frühstücken. Ich bin unsicher, ob wir uns verständigen können. Gestern sind wir mit Deutsch und Englisch nicht weit gekommen, aber da hat immer jemand übersetzt. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt, und ich fühle mich ein bisschen wie eine gestikulierende, taubstumme Neandertalerin. Doch es klappt. Wir wärmen uns mit Café auf und essen sicherheitshalber ein dickes Sandwich, denn wer weiß, wann wir wieder etwas bekommen.
    Draußen wird es nicht heller, es nieselt pausenlos, doch irgendwann müssen wir raus, unter die Bäume auf den Sandweg parallel zur Straße. Hier ist es relativ trocken. Auf der anderen Straßenseite steht das erste von vielen Wegkreuzen des Jakobswegs, das steinerne
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