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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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nächste Lektion: wenn es um 7 Uhr Frühstück gibt, sollte man nicht erst um 7.30 Uhr erscheinen, denn dann bekommt man nur noch Reste. Und es gibt eh wenig: Toast, Marmelade und Margarine. Wie können die Franzosen und Spanier den Tag nur so beginnen? Und dann dieses gespannte Schweigen der Tischrunde, wahrscheinlich fürchten sich alle vor dem Aufstieg. Erst als die Sonne aufgeht und draußen ringsumher die herrliche Landschaft aus der Dämmerung auftaucht, verschwindet die Beklommenheit und es wird lebhaft und heiter in der immer kleiner werdenden Runde. Jeder geht so früh wie möglich los, auch wir holen bald unsere Rucksäcke, schauen noch mal unter die Pritschen, ob nichts liegen geblieben ist, und machen uns auf den Weg.
    Langsam. Schritt für Schritt steigen wir bergauf, vorbei an einzelnen Gehöften, alten knorrigen Kastanien und Eichen. Nur wenige Wanderer sind langsamer als wir oder starten später, bald überholen uns sogar schon die ersten aus dem Tal kommenden Pilger auf der steilen Teerstraße. Wir lassen uns davon nicht hetzen und bleiben bei unserer ruhigen Gangart. Aufgeregt bin ich, und ängstlich. Wird mein lädierter Rücken den Rucksack tragen können? Ich bin neidisch auf die französischen Wanderer mit ihren kleinen Tagesrucksäcken, deren Gepäck heute Morgen von einem Bus abgeholt wurde. Doch die ächzen und schnaufen noch lauter als wir und quälen sich offenbar mehr. Ich will versuchen optimistisch zu bleiben, denn es geht mir noch gut, obwohl wir schon weit gestiegen sind — tief unten liegt Huntto.
    An jeder Wegbiegung verändert sich der Ausblick über die Berge. Immer wieder bleiben wir staunend stehen, nehmen unser Gepäck ab, schauen über die grandiose Landschaft, verschnaufen, setzen die Rucksäcke auf und gehen langsam weiter. Auf baumlosen Hochweiden grasen Schafherden und galoppieren wilde Pferde. Kalter Wind weht über die Höhen, keine Wolke trübt die weite Sicht bis zu den Zentralpyrenäen. Am Wegrand schauen zwischen Heidekraut hellbraune Champignons aus dem Gras. Ich zücke mein Messer, schneide mir einige ab und probiere sie neugierig. Sie schmecken köstlich, schade, dass wir keine mitnehmen können.
    Das Gehen ist nicht so schwierig, wie ich befürchtet habe. Bis weit hinauf sind die Wege fest, und nach sehr steilen Abschnitten flacht die Piste immer wieder ab. Je höher wir kommen, desto geringer wird die Steigung, und als sich zwischen flachen Bergkuppen ein Platz öffnet, bietet sich uns ein seltsamer Anblick: Mitten im kahlen Gestein steht eine blumengeschmückte Marienstatue. Wanderer sitzen zu ihren Füßen und rasten, wir setzen uns dazu, froh über jede Pause, genießen die Stille, die weite Aussicht. Doch wir haben keine Ruhe. Der Weg ist noch weit.
    „Passt gut auf, es gibt eine schwer erkennbare Abzweigung. Wer die verpasst, muss einen Umweg von vielen Kilometern machen!“ Helmut hat uns gewarnt und wir schauen vorsichtshalber auf den Plan: Sie müssen die geteerte Straße dort, wo ein Kairn und dann ein Kreuz steht, verlassen, nach dem Bentarte-Pass. Den Stacheldrähte bis dem Brunnen entlanggehen, den kanadisdchen Übergang übergehen, und den steigenden Weg geradeaus fortsetzen. Aha. Wenn wir den Weg nach dieser Beschreibung finden, werde ich in Zukunft auch taiwanesische Videorecorder programmieren können! Glücklicherweise weist ein Pfeil aus Steinen auf dem Boden die Richtung durch ein Felsentor, hinter dem der Weg holperig und uneben in eine veränderte Landschaft führt, vorbei an einem Brunnen, einem ersten Hinweisschild auf Santiago de Compostela, und irgendwann auch über die Grenze zu Spanien. Es wird wieder grün, wir durchqueren Wälder auf sumpfigen Wegen, bergauf und manchmal auch bergab.
    „Lass uns rasten, meine Schuhe drücken.“ Arme Maja, sie hat ihre ersten Blasen. An einer grasigen Böschung verpflastert sie ihre Zehen, wir legen die Beine hoch, essen Müsliriegel und verschnaufen. Augenblicklich überfällt mich bleierne Müdigkeit, aber wir können nicht lange ausruhen, denn es beginnt zu nieseln. Also rappeln wir uns hoch, raffen unsere Habe zusammen und stehen nach einem kurzen Anstieg vor einem Schild mit der fast unleserlichen Aufschrift . Unglaublich — das bedeutet, dass wir oben sind, auf dem Cisa-Pass, dem höchsten Punkt unserer Etappe! Hurra, wir haben 1200 Höhenmeter überwunden! Wir Superfrauen! Glücklich hüpfen wir lachend umher und ich fühle mich stark wie selten. Jetzt brauchen wir nur noch
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