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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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Herbergen von hier bis Santiago. Brauchen wir die? Ich stecke sie ein.
    „Wo schlaft ihr heute Nacht?“ Helmut denkt an alles. Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber ich brenne darauf, heute Abend die ersten Kilometer bis Huntto zu gehen. Doch ich kann nicht für mich allein entscheiden, wir müssen eine Absprache treffen, und ich fürchte mich, Maja zu fragen. Sie hat im Zug schlecht geschlafen und ist noch müder als ich, doch ich traue mich: „Gehen wir heute noch nach Huntto hinauf?“ Sie überlegt nicht lange: „Wenn uns dort ein Bett sicher ist, ja.“ Der gute Helmut telefoniert und lacht uns an: „Ja, es klappt, sie reservieren euch Betten. Geht rechts entlang, durch die Pilgergasse aus der Stadt hinaus, dann könnt ihr den markierten Weg nicht verfehlen. Von hier bis nach Santiago de Compostela findet ihr gelbe Pfeile oder Muschelsymbole. Folgt ihnen einfach. Habt ihr zu Essen? Bis Roncesvalles gibt es nichts zu kaufen, nur Wasser gibt es. Überall sind Brunnen.“
    Maja und ich schauen uns skeptisch an und rauchen eine letzte Zigarette. Himmel, jetzt wird es ernst Was haben wir uns bloß vorgenommen? Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr, unsere Wanderung beginnt. Ich schnüre meine Schuhe fester und rücke den Rucksack zurecht. Auf geht’s, die Pilgergasse hinunter, in der zwischen malerischen Häusern eine Jakobuskirche steht. „Halt!“ Ich muss da jetzt hinein und beten, Gott um seinen Schutz und seine Hilfe bitten.
    Danach bin ich zuversichtlicher, wir füllen unsere Wasserflaschen am ersten der vielen Pilgerbrunnen, kaufen Baguettestangen, überqueren einen Fluss auf einer alten Steinbrücke und verlassen den Ort. Der Weg ist gut, aber steil, es geht richtig steil bergauf. Und diese wenigen Kilometer sind sehr lang. Nach mehr als zwei Stunden und einer schrecklich steilen letzten Kurve sehen wir über uns endlich einige Häuser: Huntto.
    Erschöpft und glücklich steigen wir eine wackelige Leiter zu den letzten freien Liegen auf einer hölzernen Galerie im Stall hinauf, direkt unterm Blechdach. Egal, wir haben die ersten Kilometer hinter uns gebracht, und besser als im Zug ist es allemal. Dass es nur eine Toilette, zwei Duschen und ein Waschbecken für 30 Schläfer gibt, macht auch nichts. Die Warnung unserer Bettnachbarn, „Steckt euer Brot gut weg, hier laufen Mäuse herum“, kann uns nicht erschüttern. Nichts hat Bedeutung als die Pyrenäenüberquerung. Für alle, denn sie ist Hauptthema beim köstlichen fünfgängigen französischen Abendessen.
    So gut es möglich ist, führen wir schüchtern erste Gespräche mit den Tischnachbarn, aber die meisten sind Franzosen und ich spreche nur Englisch. Ich fühle mich fremd und unbehaglich zwischen all den Unbekannten, und bin leider schon nach dem dritten Gang satt, weil ich nicht ahnte, dass das Beste noch kommt. Erst als ein junges Paar aus Graz bedauernd erzählt, dass sie nur drei Wochen Zeit haben, rührt sich in mir ein Glücksgefühl. Ich kann so lange unterwegs sein wie ich will, welch ein Privileg! Das Essen dauert Stunden, doch meine seltsame Stimmung aus Furcht und Fremdheit treibt mich, die Gesellschaft bald zu verlassen, um noch ein Weilchen draußen im Dunkeln zu sitzen.
    Ein wunderbarer Sternenhimmel steht über der Gebirgslandschaft, wie eine Traumkulisse liegt das Land mit den kleinen Lichtern in den Tälern vor mir.

    Ja, ich war wirklich losgegangen.

Oh Gott,
    du hast deinen Diener Abraham aus der Stadt Ur der Chaldäer herausgeführt; du hast ihn auf allen seinen Pilgerwegen beschützt, du warst der Führer des hebräischen Volkes durch die Wüste; wir bitten dich, du mögest uns, deine Diener, die aus Liebe zu Dir nach Santiago de Compostela pilgern, beschützen.

Mein Weg mit Maja

Über die Pyrenäen
Huntto — Roncesvalles > 21,5 km

    Klar, dass dieser Morgen schrecklich beginnt, meine Angst vor der Gebirgspassage zieht anscheinend Unheil an. Nicht nur, dass ich vor Aufregung die ganze Nacht geschwitzt und gefroren habe, jetzt scheint es auch noch in Strömen zu regnen. Hätte ich mir doch nur einen Regenumhang gekauft! Wie soll ich den Tag bloß überstehen? Durch das offene Schiebestalltor kann ich den dunklen Morgenhimmel sehen. Nein, es regnet nicht — das Geräusch ist Plastiktütengeknister der packenden Schlafgenossen, Gott sei Dank!
    Erleichtert und müde steige ich die Leiter hinunter, wir sind spät dran, alle anderen sind schon unterwegs oder sitzen beim Frühstück. Und wir Schlafmützen lernen die
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