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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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sein Bedürfnis nach Sicherheit, um seine Angst, um unsere Beziehung. Mein Camino wird reduziert auf meine Erfahrungen, die für unsere Ehe wichtig sind. Aber ich bin mehr. Ich bin in erster Linie ich, mit vielen Facetten, vielen Optionen für die Zukunft. Habe keine Angst mehr, allein zu sein, keine Angst mehr, verlassen zu werden, obwohl ich es mir natürlich auch nicht vorstellen möchte. Aber es hat die Macht über mich verloren. Ich möchte ein eigenständiger Mensch sein, will mich aus dieser lebenslangen Abhängigkeit von Anerkennung und Liebessucht lösen, will mein Leben nicht mehr auf einen Bruchteil der Möglichkeiten reduzieren und jetzt bitte nicht belagert werden.
    Er tut mir ja leid in seiner Hilflosigkeit, weiß nichts mit mir anzufangen, möchte, dass alles ist wie früher. Aber ich brauche Zeit anzukommen, möchte nur allein sein und meine Erfahrungen verarbeiten, die er nicht verstehen kann. Ich möchte schreien, abhauen, meine Sachen packen, werde ihm heute Morgen sagen, dass ich weggehen werde, wenn er mich nicht endlich in Ruhe lässt — ich muss jetzt an mich denken, muss es schaffen, so aufmerksam zu bleiben, dass ich nicht wieder über das hinweggehe, was ich wirklich will und brauche.
    Ich kann ihm nicht helfen.

    Drei Tage später:
    Heute haben wir seine Reiseutensilien eingekauft! Meine Entschiedenheit am Mittwoch hat ihn in Bewegung gesetzt, Donnerstag hatte er die Idee und am Freitag war er entschlossen, den Camino selbst zu gehen. Meine Frauenrunde gestern Abend war begeistert: „Besser kann er seine Liebe nicht zeigen“, aber auch: „Er hat begriffen, wenn er sich jetzt nicht in Bewegung setzt, bist du weg.“
    Und das stimmt. Nicht mehr dieses unrealistische Gerede von Veränderung, ohne zu sagen, wie. Ich bin froh, erleichtert, hatte kurz eifersüchtige Gefühle, aber die sind vorbei.

    Zwei Tage danach:
    Ich habe ihn zum Bahnhof gebracht, er fährt die gleiche Strecke, will den selben Weg gehen. Es ist gut, dass er weg ist, nun habe ich Zeit, ganz in Ruhe wieder hier anzukommen.

    Eine Woche später:
    Es war schön, heute mit meiner Mutter zu reden, nichts steht zwischen uns, mein Prozess des Fühlenlernens ist unabhängig von ihr und unserer gemeinsamen Vergangenheit.

    Zwei Wochen später:
    Ich fühle mich schlecht.
    Letzte Nacht habe ich gespürt, dass meine Anspannung zum großen Teil daher kommt, dass ich glaube, Erwartungen erfüllen zu müssen, auch solche, die es gar nicht gibt. Jetzt, wo Max weg ist, merke ich, welchen Druck ich mir damit antue! Wenn ich mich davon befreien kann, wird es mir besser gehen. Vielleicht resultiert ein Teil meiner Unzufriedenheit daher?

    Am nächsten Tag:
    Max sagte mir am Telefon, dass er schon 400 Kilometer gegangen ist und bei sich angekommen, auch seine Reisegefährten würden ihn als ganz weich im Gesicht wahrnehmen. Er will zukünftig langsam gehen, weil er nicht so schnell in Santiago sein will.

    Und du, liebe Freundin, hast mir zwei wunderschöne Glockenblumen gebracht. Hauchzarte orange Glöckchen an nadelfeinen Stängeln, der Stiel mit Lilienblättern besetzt.
    „Sie sind so zart wie du.“ Danke Wiebke, Du hast mir eine große Freude mit Deinen Worten und den Blumen gemacht.
    Es dauert auch nicht mehr lange, bis ich mein Skript fertig habe!

    Drei Tage später:
    Max hat aus Triacastela angerufen, bat mich, ihm einen Rückflug am Freitag zu buchen, ich riet ihm, erst am Sonntag zu fliegen, er soll sich bloß Zeit lassen! Hatte kurz die Idee, ihn aus Bilbao abzuholen, aber ich bin so weit entfernt von ihm. So weit. Was soll ich mit ihm anfangen, wenn er wieder hier ist, was will ich von ihm?

    Eine Woche danach:
    Wie gut, dass ich so kluge Freundinnen habe! Sie haben mir den Kopf zurechtgerückt, und ich habe einiges verstanden: Ich darf meine Positionen vertreten, muss ihm aber Freiraum lassen und auch mal über meine Erwartungen an ihn nachdenken! Hauptsache, ich lasse mir nicht wieder eine Lebensform überstülpen, die nicht meine ist, nur um zu gefallen! Bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade bleibe stark und gerade.

    Will ich überhaupt einen starken Mann neben mir, kann ich es wirklich ertragen, wenn Glanz auf ihn fällt, oder will ich vielleicht Rache an den Männern, sie klein machen?

    Eine Woche später:
    Max ist zurück. Abgemagert und weich. Und voll Verständnis. Und ich verstehe ihn, lasse ihn in Ruhe. Er ist
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