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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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Pilgerkreuz von Roncesvalles. Früher waren es Wegmarkierungen. Und heute? Erinnerung an vergangene Zeiten? Ich sehe nur flüchtig hinüber, mir ist es heute gleich, wo ich bin und wie der Weg aussieht. Wichtig ist nur, dass mein Körper funktioniert, ich vorwärts komme und nicht allzu nass werde. Glücklicherweise führt der Weg durch dichten Buchenwald, bis wir das erste Städtchen erreichen. ,Auritz-Burguete’ steht auf dem zweisprachigen Ortsschild in Spanisch und Baskisch, eine Hauswand ist mit baskischen Parolen bepinselt.
    Der alte Ort sieht friedlich aus, wie aus einem Bilderbuch oder einer idyllischen Ecke des Schwarzwalds. Die oft dreigeschossigen Bauernhäuser aus Natursteinen tragen Adelswappen und Blumenkästen an ihren Fassaden, bergen unter ihren riesigen Dächern Ställe und Scheunen. Weiß verputzte Bürgerhäuser mit rot oder grün gestrichenen Fachwerkbalken, Holzbalkonen und auffällig gerahmten Rundbogentoren säumen die Durchgangsstraße. Am Dorfplatz steht eine wuchtige gotische Kirche, kleine hölzerne Brücken führen über einen Fluss, die Menschen grüßen freundlich. Nichts scheint hier die Warnungen vor dem gefährlichen Baskenland zu rechtfertigen.
    Vorbei an Teichen und Kohlfeldern wandern wir weiter nach Auritzberri-Espinal. Auch dieser Ort ist 800 Jahre alt und ebenso malerisch. Wir füllen unsere Wasserflaschen am Brunnen und suchen nach einer Einkaufsmöglichkeit, doch der einzige Laden hat Mittagspause. Macht nichts, Maja hat noch 30 Müsliriegel. Dann eben weiter. Wieder bergauf. Wir sind noch immer in den Pyrenäen.
    Zum ersten Mal grüßen wir vorüberziehende Wanderer mit dem offiziellen Pilgergruß „Hola, buen camino!“, bekommen viel Lächeln zurück und ebenfalls den Wunsch für „einen guten Weg“.
    Der Regen hat nachgelassen, doch der Boden auf diesem Höhenweg ist matschig und schwer zu begehen. Wir sind erschöpft, schleichen, suchen uns immer wieder trockene Fleckchen zum Ausruhen, der gestrige Tag steckt uns in den Knochen. Wenn wir nur schon im nächsten Ort wären, dort soll es eine Bar geben. Hinfällig treten wir aus dem nassen Wald, sehen Viscarret unvermittelt vor uns liegen und schleppen uns erleichtert die letzten Meter bis zur Bar am Dorfplatz. Endlich im Trockenen! Nur noch sitzen und aufwärmen!
    Das Lokal ist voll, alle Tische besetzt. Wir dürfen uns an den Tresen stellen. Tee und Kakao können wir bekommen, aber Essen? Nein. Das wird gerade den anderen Gästen serviert. Wir sehen neidisch zu. Salat. Suppe. Fisch. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Nein, für uns gibt es nichts. Nicht mal einen Stuhl. Wir sind nass. Uns ist kalt. Wir haben Hunger. Majas Füße schmerzen. Unsere Stimmung passt sich dem Wetter an. „Los, wir gehen.“ Maja zieht ihre Schuhe wieder an.
    Draußen ist es genauso unwirtlich wie drinnen. „Und jetzt?“ Ein Haus auf der anderen Straßenseite könnte eine Pension sein. „Wollen wir nicht hier bleiben?“ Ich zögere. Weit sind wir heute nicht gekommen, und im Moment kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als in einem Bett zu liegen. Doch ich traue mich nicht. Ich traue mich nicht in das Haus zu gehen und nach einem Zimmer zu fragen. Superfrau? Die alten Ängste sind wieder da. Maja handelt. „Setz dich hier auf die Bank, ich geh rein.“ Schon fünf Minuten später stellen wir in einem gemütlichen, warmen Zimmer unsere Rucksäcke in die Ecke, haben Aussicht auf ein warmes Abendessen und wissen, dass eine Badewanne auf uns wartet. Welch ein Genuss für meine müden Glieder. Ich liege im warmen Wasser und bin fix und fertig, jetzt will ich nur noch schlafen.
    Nachmittags scheint die Sonne. „Komm, Maja, raus aus dem Bett, lass uns den Ort erkunden!“ Es wird nur ein kurzer Spaziergang. Vor der Bar sitzt eine ältere, rundliche Frau allein. „Hallo, ich bin Tön, wollt ihr euch zu mir setzen? Ich wäre so froh, Gesellschaft zu haben.“ Ja klar, wir wollen sowieso Café trinken.
    Irgendwie sieht sie seltsam aus. „Schaut mich bloß nicht so genau an, das ist meine Schlafanzughose.“ Sie zupft an geblümtem Jersey über ihren dicken Wanderstiefeln. „Ich bin auf dem schrecklichen Waldweg ausgerutscht und der Länge nach in den Matsch gefallen, alle meine Sachen hängen jetzt auf der Wäscheleine.“ Arme Tön. Sie ist mit einem 16 Kilo Rucksack nach St.-Jean gekommen und hat sich dort überreden lassen, einen großen Teil ihrer Sachen wieder nach Hause zu schicken. Auch ihre Ersatzhose.
    Nur mit Mühe
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