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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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danach nicht mehr weit bis zum Erro-Pass. Gut, dass wir ausgeruht sind, bergab wird es scheußlich. Der Weg ist eine einzige lehmige Rutschbahn ohne Ausweichmöglichkeit in das eingrenzende Wald- und Brombeergestrüpp. Wir schlittern, stolpern, tasten uns ganz langsam vorwärts. Natürlich rutsche ich aus, kann mich nirgendwo festhalten und sinke genervt und ergeben in den Schmutz. „Haben Sie sich verletzt?“ Ein nicht mehr junges französisches Ehepaar hilft mir auf. „Danke, ich bin o. k.“ Mit freundlichem Gruß springen die zwei wie Bergziegen den Weg hinunter, und ich glotze hinter ihnen her und fühle mich ziemlich dämlich.
    Endlich wird es wieder flach, dafür ist der Matsch tiefer. Eine Kuhherde lässt uns widerwillig an ihrem Stall am Wegrand vorbei. Diese verfallene Ruine soll früher die Pilgerherberge Venta del Puerto gewesen sein, wie es hier wohl vor tausend Jahren ausgesehen hat? Die armen Pilger damals, in ihren schweren Umhängen und teilweise barfuss auf den viel schlechteren Wegen.
    Lauter Gesang unterbricht mein Sinnieren, eine fröhliche Truppe spanischer Männer mit Riesenstrohhüten überholt uns flotten Schrittes. „Hola, peregrinas“, mehr verstehen wir nicht, doch wir lassen uns gern von ihrer guten Laune anstecken. Davon brauchen wir viel, denn jetzt werden unsere Nerven und Füße noch einmal gestresst. Zwischen bizarren Schieferwänden und Trockenmauern müssen wir auf einem schmalen, gewundenen Weg nach Zubiri hinunterkraxeln. Über Buckel und Furchen nasser, senkrecht stehender Gesteinsschichten. Ich danke Gott, als auch dieser Schrecken endet und unter uns der Ort auftaucht.
    Zubiri. Der Name ist baskisch und bedeutet ,Ort an der Brücke’, und tatsächlich ist die zweibogige mittelalterliche Steinbrücke Puente de la rabia (Tollwutbrücke) der Eingang zur Stadt. Nach einer Legende wurden tollwütige Tiere durch den Ortsheiligen St. Quiteri geheilt, wenn sie dreimal unter der Brücke hindurch geführt wurden.
    Hier gibt es eine Pilgerherberge, doch wir wollen nicht bleiben, nur ausruhen und essen. Wir haben Hunger, entscheiden uns für ein Picknick und betreten mutig den nächsten Laden. Während ich zwischen Gemüse- und Obstkörben darauf warte, bedient zu werden, bestaune ich aufgeschnittene Schafsköpfe und Schweinsfüße, seltsame tote Vögel und undefinierbare Tierteile, bei deren Anblick ich mir nicht vorstellen möchte, dass Menschen so etwas essen.
    Seltsam, was es hier alles gibt, ich schwanke zwischen Ekel und Faszination der Andersartigkeit — und gehe kein Risiko ein: unser Mahl besteht aus Brot, Tomate, Thunfisch aus der Dose und wunderbarem Schafskäse. Auf einer Bank in der Mittagssonne, mit Blick auf den Fluss und den ununterbrochenen Strom Wanderer, die an uns vorbei in die Stadt gehen oder weiterziehen — mit entschlossenen oder erschöpften Gesichtern.
    Eine Bemerkung von Maja schreckt mich aus der wohligen Ruhe: „Ziemlich viele Leute unterwegs, aber ich hab für mich beschlossen, mir keine Gedanken mehr darum zu machen, ob wir eine Unterkunft finden. Wenn die Betten belegt sind, wird uns sicher jemand eine Isomatte leihen und wir schlafen auf dem Boden.“ Rumms. Als hätten ihre Worte einen Damm eingerissen, taucht meine heimliche Angst vor einer solchen Situation auf. Mein Friede ist dahin, ich werde unsicher, möchte weiter. Bis zur nächsten Herberge in Larrasoaña sind es 6 Kilometer, wir sollten uns beeilen, damit uns nicht all die vielen Leute überholen. Hektisch verstaue ich die Essensreste und ziehe meine Schuhe wieder an. „Komm, lass uns gehen.“
    Der ebene Weg oberhalb des Río Arga ist wie ein Geschenk nach der Kletterei heute Morgen. Der Abraum eines riesigen Tagebaus sprenkelt die Wege glitzernd, wir durchqueren Obstgärten und lauter niedliche Dörflein. Nur unsere Erschöpfung trübt die Idylle. Es ist schnell anstrengend warm geworden, da sind wir froh über einen Brunnen, in dessen Becken wir unsere Arme kühlen können. Hoffentlich sind wir bald da.
    Ja, und dann passiert, wie im richtigen Leben, zwangsläufig das, was man am meisten fürchtet:
    Es gibt in Larrasoaña heute keine Betten. Seltsam, dass uns aus dem Dorf Rucksackwanderer entgegenkommen, und warum stehen hier überall diskutierende Grüppchen von Pilgern mit ihrem Gepäck? „Wo geht es zur Herberge?“ Eine Frau zeigt in eine schmale Gasse. „Die ist da hinten im Rathaus, aber da könnt ihr heut nicht übernachten.“ Was meint sie?

    Wir gehen jetzt einfach hin,
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