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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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mal sehen, was da los ist. Auf dem menschenleeren Platz vor dem Rathaus stehen Bänke und ein Brunnen. Na prima. Unsere Füße sind heiß und geschwollen, wir halten sie ins Wasser, verschnaufen. Bis ein dicker, verschwitzter Mann zu uns gelaufen kommt, sich als „Señor Santiago“ vorstellt, „Alcalde (Bürgermeister) von Larrasoaña“, und uns irgendwie auf Spanisch erklärt, dass die Herberge geschlossen ist. „Weil heute eine Fiesta stattfindet und es zu laut für euch Pilger würde.“ Dass uns Lärm nicht stören wird, dass wir nur ein Bett in der Herberge im Haus direkt hinter uns haben möchten, erweicht ihn nicht. „Vielleicht kann ich euch ein Privatquartier besorgen.“ Und dann beginnt er hektisch zu telefonieren und wir beschließen, stoisch sitzen zu bleiben. Alles wird sich finden. Währenddessen kommen andere Pilger hinzu, Dorfbewohner stehen herum und schauen sich die interessante Szene an, der Platz füllt sich stetig und die Stimmung verändert sich. Spannung und Nervosität steigen, viele Wanderer kommen schon von Roncesvalles und sind am Ende ihrer Kräfte. Laut und gestikulierend weist der kleine Mann alle Versuche, ihn umzustimmen, von sich. „Nein, die Herberge bleibt zu. Geht weiter nach Trinidad de Arre.“ Elf Kilometer. „Ruft euch ein Sammeltaxi, hier ist das Telefon; und bevor ihr fahrt könnt ihr noch Stempel in eure Credenciale haben.“ Lautes Murren macht sich breit, nur ein unerschütterliches Ehepaar, das in Belgien losgewandert ist, behält seinen Humor und schlägt vor, Sankt Jakobus um Hilfe anzurufen, was wir lachend sofort im Chor beginnen: „Jakobus hilf uns, gib uns ein Bett“. Doch der hat wohl anderes zu tun, wir müssen selbst eine Lösung finden.
    Langsam beginnen wir zu akzeptieren, dass Warten nichts mehr bringt, wir müssen handeln. „Komm, Maja, wir gehen und versuchen nach Arre zu kommen.“ Aber wie? Erst einmal zu Fuß, bis zum Dorfende. Da steigt just eine Frau in ihr Auto, ich spreche sie an, und sie versteht glücklicherweise Englisch. Ja, sie fährt jetzt nach Pamplona und nimmt uns gern ein Stück mit. Erleichtert pressen wir uns und unsere Rucksäcke in ihren kleinen Wagen, schließen die Augen, um ihre Überholmanöver nicht zu sehen, und finden uns schon nach zehn Minuten abgesetzt an einem Straßenrand wieder. Nach kurzem Umherirren entdecken wir zwischen Schnellstraßen einen gelben Pfeil, finden zwischen einem Fluss und einer Vorortstraße Kloster und Kirche Trinidad de Arre und direkt daneben die Herberge.
    Ein rundlicher Priester führt gerade eine Gruppe Wanderer hinein, wir laufen hinterher — und sind im ersten echten Refugio unserer Wanderung. Zwischen gespannten Wäscheleinen und 15 eisernen Doppelbettgestellen, von denen wir uns eins aussuchen können. Maja erklärt mir, dass sie nicht oben schlafen kann, nie, und ich — ich nehme das obere Bett. Obwohl ich es eigentlich gar nicht will. Warum gehe ich nicht in das freie Unterbett in der anderen Ecke des Raumes? Irgendwie ist es für mich selbstverständlich, dass wir dicht zusammenbleiben, auch wenn ich es lieber anders hätte. Also klettere ich hinauf, rolle meine Schlafmatte aus, breite den Schlafsack darüber, dusche, wasche bis auf meine Hose alles, was ich auf dem Leib trage, hänge es auf die Leine und gehe mit Maja in den nahen Ort, um Abendessen einzukaufen. Auf dem Weg finden wir — oh, Wonne — eine Pastelería und schlagen uns den Bauch mit den köstlichsten Kuchen voll.
    Müde bereiten wir uns später einen frischen Salat in der perfekt ausgestatteten Herbergsküche und verspeisen ihn zu dicken Käsebroten zwischen fremden Menschen am Riesentisch. Dann hat Maja genug für heute, sie will nur noch schlafen.
    Ich plaudere noch ein wenig mit den jungen Grazern, jetzt selbstverständlich per Du, frage sie die typischen Pilgerfragen „Wo wart ihr gestern, wo wollt ihr Morgen hin, was machen Eure Füße?“, wünsch ihnen eine gute Nacht und klettere widerstrebend in mein Bett hinauf, neben einen wildfremden Mann, weil die Betten zu Blöcken zusammengestellt sind. Mache meine Gymnastik, weiß nicht, wo ich meine Brille hinlegen soll und fühle mich gar nicht wohl. Bestimmt werde ich morgen Rückenschmerzen haben, weil die Matratze so durchhängt. Kann ich mit so vielen Menschen in einem Raum schlafen? Wann werden die drei Leute neben meinem
    Bett endlich aufhören, so laut miteinander zu reden und zu lachen? Aber ich kann liegen, merke wie matt ich bin und finde mich ab.
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