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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Autoren: HanneLore Hallek
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nächsten Umsteigebahnhof.
    Die Kleinbahn zu unserem Ziel St.-Jean-Pied-de-Port fährt schon in ein paar Minuten, wir brauchen neue Tickets. Das ist kein Problem für einen schnellen Menschen wie mich, ich sprinte in die Bahnhofshalle — um eine erste Lektion in Gelassenheit zu lernen: Am einzigen Schalter steht eine wartende Menschenschlange. Nervös schließe ich mich an, hüpfe von einem Fuß auf den anderen. Wie lange dauert das denn bloß? Völlig hektisch erreiche ich in letzter Minute den Zug, in dem Maja mich entspannt empfängt: „Du hättest dich nicht so zu hetzen brauchen, der Schaffner verkauft auch Fahrkarten.“
    Die beiden stickigen Waggons des Zuges sind voller unruhiger Menschen und praller Rucksäcke. Wo wollen die alle hin? Pilgern? Das kann nicht sein, wer geht denn jetzt im September noch los? Viele. Sie steigen mit uns an der Endstation aus und strömen vor und hinter uns hinauf zum Zentrum von St.-Jean-Pied-de-Port. Dutzende. Vorbei an blühenden Gärten Richtung Stadtmauer, wir mittendrin, und ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder fürchten, denn mit St.-Jean ist für mich ein Albtraum verknüpft.
    Von hier aus müssen wir über die Pyrenäen, über den Cisa-Pass in 1430 Meter Höhe, 27 Kilometer weit bis Roncesvalles auf der anderen Gebirgsseite. Obwohl ich weiß, dass auf uns ein gut begehbarer Weg wartet, gruselt es mich vor der Anstrengung. Es beruhigt mich nicht, dass Hunderttausende von Jakobspilgern, Karl der Große und Napoleon das Gebirge auf dieser ,Route de Napoleon’ überquert haben sollen, ich bin noch niemals einen Berg hinauf gegangen! Aber es gab für mich nie einen Zweifel, keine Alternative, hier soll mein Camino beginnen, auf dem historischen navarrischen Weg der Nordeuropäer. Dass es bei Kilometer 5,7 neuerdings eine Unterkunft gibt und der Weg leichter wird, wenn wir dort übernachten, vermindert meine Angst nur wenig. Aber wir wollen es schaffen, auch wenn die Berge von hier unten unüberwindlich aussehen, also Schluss mit dem Gezeter.
    Wie Schafe in einer Herde folgen wir müde und aufgeregt rucksackbepackten Gestalten durch ein steinernes Tor in die mittelalterliche Altstadt. Die werden schon wissen, wo es lang geht, wollen bestimmt auch ins Pilgerbüro, die Anlaufstelle für alle Ankommenden und Durchreisenden. Manche wollen sicher über Nacht hier bleiben und sich eine Unterkunft vermitteln lassen, andere brauchen Hilfe, wie wir. Wir wissen so gar nichts, vielleicht bekommen wir dort Ratschläge, denn da arbeiten gut informierte Einheimische und Freiwillige aus Jakobusgesellschaften in ganz Europa, die es sich seit einigen Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht haben, die Tradition der Pilgerhilfe wieder zu beleben.
    Rue de la Citadelle. Wir sind da und schieben uns ins Gedränge, zwischen Gepäck, Wanderstöcke und umlagerte Schreibtische; in nervöse Hektik und spanisch-französisches Stimmengewirr im zentralen Raum eines alten Gemäuers. Hoffentlich finden wir jemanden, mit dem wir uns verständigen können! Wir haben Glück, Helmut spricht Deutsch. „Habt ihr schon Credenciale?“ Ja, wir haben uns Pilgerpässe von den Santiagofreunden aus Köln schicken lassen. Sie werden unser wichtigstes Reiseutensil sein, ,Eintrittskarte’ in die Herbergen und Nachweis über die zurückgelegte Strecke. An jeder markanten Station und in jeder Herberge werden wir einen Stempel hinein bekommen. Von Helmut gibt es den ersten, und dann bittet er uns Fragebögen für seine Statistik auszufüllen:
    Was ist das Motiv für Deine Reise?
    Sport? Nein. Ich bin froh, wenn ich es überhaupt schaffe.
    Kultur? Ist sicher auch wichtig. Aber Motiv? Nein.
    Religion? Ja. Natürlich glaube ich als Protestantin nicht an die Kraft von Reliquien, und mein Verhältnis zur Institution Kirche ist nicht besonders eng, doch ich glaube an Gott und bete, wenn ich Hilfe brauche oder danken will. Vielleicht ist Gott auf diesem Weg eher zu spüren als im Alltag und meine Verbindung zu ihm wird klarer und enger. — Ja, ein Kreuzchen hier.
    Spirituelles? Ist das nicht eine andere Definition für Religion? Eine Erweiterung des Glaubens über den Gottesbegriff der Kirchen hinaus? Glaube an eine Kraft, die alles verbindet und Wachstum möglich macht, wie immer sie heißt? Und hoffe ich nicht auch auf ein verändertes Bewusstsein? Das ist doch spirituell! — Noch ein Kreuzchen.
    Dann bekommen wir gute Ratschläge, einen Plan für den schwer zu findenden Weg auf der ersten Etappe, und eine Liste aller
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