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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise
Autoren: Anna Enquist
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Erster Teil
    I
    Er erwartet einen leeren Tisch, wenn er zurückkommt, dachte sie. Er wird Koffer und Taschen voll Journale, Skizzen und Karten ins Haus tragen. Die müssen flach liegen, auf einem sauberen Tisch, gewachst und gewienert, daß er blinkt wie ein Teich. Ein Tisch, der dazu einlädt, Mappen darauf zu legen und Bücher und Papiere in vollkommenen Stapeln zu ordnen. Kein Müllabladeplatz. Das Gartenzimmer, in dem der Tisch steht, das fast ganz von dem Tisch ausgefüllt wird – nein, es ist Platz genug, es ist eher so, daß der Tisch Mittelpunkt dieses Zimmers ist, an ihm führt kein Weg vorbei, das Zimmer scheint um ihn herumgebaut zu sein, ein Tabernakel für einen hölzernen Altar –, muß saubergemacht und vielleicht geweißt werden.
    Elizabeth schritt langsam am Tisch entlang zum Erker und schaute durch die kleinen Scheibenquadrate in den Garten hinaus. Durch die Unebenheiten im Glas sah es aus, als schwebten die Blumen über dem Gras; je nachdem, wie sie Kopf und Hals bewegte, stülpten sich die blaßblauen Irisblüten zu monströsen Gebilden aus, und die Gartenbank schoß auf und ab. Elizabeth stieß die Fenster auf; die weiß gestrichenen Leisten, in denen die Scheiben gefangen waren, sahen schmutzig aus. Mit dem Zeigefinger wischte sie eine tote Fliege weg.
    Frühlingsluft kam herein. Elizabeth stemmte die Hände in die Seite und schnupperte. Weißdorn, Levkojen, die fad-süßlichen Ausdünstungen von der Ginfabrik um die Ecke. Bald würde die Linde über der Gartenbank zu blühen beginnen und Honig auf Möbel und Grasdecke tropfen. Dichte Wolken emsig summender Insekten würden sich um die hellgrünen Blüten drängen. Demnächst.
    Sie wandte sich zu dem dunklen Zimmer um. Wie eine Bergkette ragte das Durcheinander auf dem Tisch vor ihr auf. Er kommt zurück, dachte sie, in einem Monat, im Sommer, vielleicht erst im Herbst, aber er kommt. Irgendwo auf der Welt ist er in dieser beengten hölzernen Hulk unterwegs, die er so stolz sein Schiff nennt. Die Entdeckungen sind gemacht, die Küsten kartiert, die fremden Völker beschrieben, und die Rückfahrt ist angetreten. Länger als drei Jahre kann so eine Reise nicht dauern. Höchste Zeit also, mit der Räumung des Tisches zu beginnen. Das wird sein, als trüge ich einen Schutthaufen ab, auf den jemand jahrelang sein Gerumpel geworfen hat. Eine archäologische Unternehmung, die ich als Herausforderung betrachten könnte.
    Die Zugluft blies kühl in ihren Rücken, die schwere Stubentür setzte sich in Bewegung und fiel mit einem Knall ins Schloß.
    Mit den Armen über den Tisch fegen und alles hinunterbefördern. Klar Schiff machen mit dem Bodensatz dieser einsamen Jahre. Weg mit den Kinderzeichnungen, den Rechnungen, der vergessenen Flickwäsche, den ungelesenen Büchern und vergilbten Zeitungen. Alles im Garten auf einen Haufen werfen und dann, bei windstillem Wetter, in Brand setzen. Sie würde mit einem Stock die auf Abwege geratenen Papiere ins Feuer zurückschieben, die Jungen würden mit Blasebälgen und Besenstielen helfen, und alles, alles würde ungesehen in dichtem Rauch aufgehen und über die Dächer hinweg zum Fluß hin wehen.
    Doch es mußte alles gesichtet werden. Man konnte erst etwas wegwerfen, wenn man wußte, was es war. Jeder Schnipsel Papier würde durch ihre Hände gehen müssen. Sie zog die Schürzenbänder fester zu und trat an den Tisch.
    Die Hand ausstrecken, um einen Brief aufzunehmen, und dann rasch zurückziehen. Um den Tisch herumgehen und die Gegenstände von allen Seiten betrachten und taxieren. Ein Ordnungssystem entwerfen: Einen Korb hinstellen für alles, was weg kann, eine Mappe für Geschäftsbriefe, die aufbewahrt werden müssen, ein Stapel für Zeichnungen von den Kindern, für persönliche Briefe, ein Berg mit Büchern, die man zur Hand haben will, und einer mit solchen, die besser verborgen auf den richtigen Moment warten können. Platz schaffen auf dem breiten Dielenboden, damit man die Stapel in gehörigem Abstand voneinander hinlegen kann. Sie wußte, wie sie es anfangen würde, doch sie zögerte und zauderte immer noch.
    Zehn Uhr war es, ein Vormittag Anfang April, die Jungen waren in der Schule, und Besuch erwartete sie nicht. Es war Zeit vorhanden, die sie nicht nutzte. Worauf wartete sie? Nicht auf Hilfe, sie erledigte diese Aufgabe am liebsten allein. Sie setzte sich nicht auf das schmale Bänkchen am Fenster, sondern ging weiter umher, als suchte sie etwas.
    Sie war müde. Alles in ihrem
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