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Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Autoren: F. Paul Wilson
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Ruhe überkam Glaeken. Nebelschwaden verschluckten ihn, und gefaßt erwartete er den Tod in der Schlucht.
     
    Magda beobachtete die beiden Gestalten auf dem Turmdach. Sie standen so dicht voreinander, daß sie sich fast berührten. Im Licht der aufgehenden Sonne schien Glaekens rotes Haar Feuer zu fangen. Metall blitzte, und der Kampf begann. Er endete schon nach wenigen Sekunden: Rasalom und sein Gegner fielen über die Brustwehr und stürzten in die Tiefe.
    Magdas Schrei übertönte das Heulen des sterbenden Untoten. Sie sah, wie der Finstere zu Staub zerfiel und sich die Nebelschwaden in der Schlucht um Glaeken schlossen.
    Einige Sekunden lang war die junge Frau wie erstarrt. Sie hielt die Luft an und rührte sich nicht von der Stelle.
    Glaeken …
    Der Aufprall tief unten mußte seinen Körper zerschmettern und ihn endgültig töten.
    Wie benommen trat sie an den Rand der Brücke und hielt vergeblich nach dem Mann Ausschau, den sie liebte. Eine seltsame Taubheit erfaßte ihren Körper und Geist. Dunkelheit kroch heran, begrenzte ihr Blickfeld und drohte sie vollständig zu verschlingen. Dann zersplitterte die fatale Lethargie und der Wunsch, sich immer weiter über die Geländer zu beugen, bis sie ebenfalls fiel – um in der Schlucht zu sterben. Ruckartig wandte sie sich um und rannte über verwittertes Holz.
    Unmöglich! hallte es in Magdas Innern, als ihre Füße über die Planken liefen. Sie können nicht beide tot sein! Erst Vater und jetzt auch Glaeken …!
    Sie verließ die Brücke und stürmte über den Pfad, bis sie die Stelle erreichte, an der sich das Geröll bis zum Schluchtgrund erstreckte. Glaeken hatte einen Sturz überlebt – warum nicht auch den zweiten? Bitte! Doch diesmal war er vom Turm gefallen!
    Magda kletterte den Hang hinunter, verlor den Halt und rutschte. Sie achtete nicht auf die scharfkantigen Steine, die ihr die Haut von Händen, Armen und Beinen schürften. Die Sonne stand noch nicht hoch genug, um direkt in die Schlucht zu scheinen, aber in der wärmer werdenden Luft löste sich allmählich der Nebel auf. Rasch lief die junge Frau durchs Felsental, stolperte, stemmte sich wieder in die Höhe, schob sich an granitenen Blöcken vorbei, nur von einem Gedanken beseelt: Ich muß Glaeken finden. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Sie taumelte und watete durch das eiskalte Wasser des Flusses. Sie näherte sich dem Sockel, der dem Kastell als natürliches Fundament diente.
    Dort blieb sie keuchend stehen, drehte sich langsam um die eigene Achse. Nirgends bewegte sich etwas.
    »Glaeken?« Ihre Stimme klang rauh und heiser. Erneut rief sie seinen Namen: »Glaeken!«
    Keine Antwort.
    Er muß hier irgendwo liegen!
    Einige Meter entfernt glänzte etwas. Magda setzte zögernd einen Fuß vor den anderen und erkannte das Schwert. Beziehungsweise die Reste der Waffe. Die Klinge war zerbrochen, und inmitten der Metallsplitter lag das Heft, das nun nicht mehr in einem goldenen und silbernen Ton schimmerte. Die junge Frau hatte das Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben, als sie den kreuzartigen Gegenstand in die Hand nahm und mit den Fingerkuppen über mattes Grau strich. Das Edelmetall war zu Blei geworden. Der Schluß lag auf der Hand: Das Schwert hatte seinen Zweck erfüllt.
    Rasaloms Tod … Die Waffe wurde nicht mehr gebraucht. Ebensowenig wie der Mann, dem sie gehörte.
    Magda rief voller Kummer und Verzweiflung Glaekens Namen, und ihre Stimme hallte wie ein eigenständiges Wesen durch die Schlucht, kroch über die hohen Felswände und kehrte als dumpfes, anklagendes Echo zurück.
    In der anschließenden Stille ließ Magda die Schultern hängen und fühlte sich leer und ausgehöhlt. Tränen quollen ihr aus den Augen und verschleierten ihren Blick. Sie hatte alles verloren, ihren Vater und den Mann, der ihrem Leben einen ganz neuen Sinn gegeben hatte. Ihrem Leben … was für einen Wert hat mein Leben jetzt noch? Magda spielte mit dem Gedanken, einfach aufzugeben und die letzten Fluchtmöglichkeiten wahrzunehmen, die sie von allem befreien würde: von Trauer und Niedergeschlagenheit, von Reue, Melancholie und Schwermut.
    Andererseits …
    Glaeken hatte während all der Jahrtausende immer wieder Gründe gefunden, am Leben festzuhalten. Eine solche Haltung erforderte Mut. Ist es etwa tapfer, sich jetzt einfach aufzugeben?
    Glaekens Handeln und Empfinden drehte sich immer um das Leben. Selbst sein Tod … Er hat sich geopfert, um uns vor der immerwährenden Finsternis zu bewahren.
    Magda
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