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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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    Aidan
    E s hatte eine Zeit gegeben – damals, 1970 –, da hatte das Ausfüllen von Persönlichkeitstests zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört.
    Bei der Zeitungslektüre am Wochenende hatte Aidan gelegentlich einen gefunden, etwa »Sind Sie ein rücksichtsvoller Ehemann?« oder auch »Kennen Sie sich im Showgeschäft aus?«. Bei »Passen Sie gut zusammen?« und »Pflegen Sie Ihre Freundschaften?« schnitten sie mit ihren Antworten immer recht gut ab.
    Doch das war lange her.
    Wenn Nell oder Aidan Dunne heute einen solchen Test sahen, stürzten sie sich nicht mehr mit Feuereifer darauf, voller Neugier auf die erzielte Punktzahl. Es wäre zu schmerzlich, beispielsweise die Frage zu beantworten: »Wie oft schlafen Sie mit Ihrem Partner? a) Mehr als viermal pro Woche b) Durchschnittlich zweimal pro Woche c) Jeden Samstagabend d) Noch seltener«. Wer wollte schon zugeben, daß es wesentlich seltener war, und dann nachschlagen, wie die klugen Köpfe, die sich die Fragen ausgedacht hatten, dieses Geständnis interpretierten?
    Heute blätterten sie beide weiter, wenn sie auf einen Test stießen, der der Frage nachging: »Passen Sie gut zu Ihrem Partner?« Dabei hatte es zwischen ihnen niemals einen Streit oder ein Zerwürfnis gegeben. Aidan war Nell noch nie untreu geworden, und er glaubte, daß auch sie nicht fremdgegangen war. War es überheblich, so etwas anzunehmen? Immerhin war sie eine attraktive Frau. Auch heute noch schauten ihr andere Männer auf der Straße bewundernd nach.
    Bei vielen Männern, die aus allen Wolken fielen, wenn sie erfuhren, daß ihre Frau sie betrogen hatte, lag das schlicht an ihrer eigenen Selbstgefälligkeit und Unaufmerksamkeit; das war Aidan klar. Doch er gehörte nicht zu dieser Sorte. Er wußte, daß Nell kein Verhältnis hatte. Er kannte sie in- und auswendig und hätte es gemerkt, wenn da etwas gewesen wäre. Überhaupt, wo hätte sie denn jemanden kennenlernen sollen? Und selbst wenn, wo hätte sie sich mit ihm treffen können? Nein, das war ein absurder Gedanke.
    Möglicherweise ging es allen anderen Leuten genauso wie ihnen. Vielleicht war das etwas, was zum Älterwerden gehörte, worüber aber nie geredet wurde. Wie etwa, daß man nach langen Spaziergängen Wadenschmerzen bekam oder mit den aktuellen Popsongs beim besten Willen nichts mehr anfangen konnte. Vielleicht lebte man sich einfach auseinander, auch wenn einem der Partner einstmals alles bedeutet hatte.
    Es war durchaus vorstellbar, daß jeder Achtundvierzigjährige, der auf die Neunundvierzig zuging, dasselbe empfand. Überall auf der Welt gab es vermutlich Männer, die sich wünschten, daß ihre Frauen ihnen bei allem, was sie taten und sagten, Interesse und lebhafte Anteilnahme entgegenbrachten. Und damit war nicht nur Sex gemeint.
    Wie lange war es her, daß Nell ihn nach seiner Arbeit, nach seinen beruflichen Hoffnungen und Träumen gefragt hatte? Früher hatte sie das ganze Lehrerkollegium und viele Schüler namentlich gekannt und sich mit Aidan über die großen Klassen, die verantwortungsvollen Posten, die Schulausflüge, die Theateraufführungen und seine Hilfsprojekte für die Dritte Welt unterhalten.
    Doch jetzt war sie kaum noch auf dem laufenden. Als die neue Erziehungsministerin ernannt worden war, hatte Nell nur mit den Achseln gezuckt. »Schlechter als die letzte wird sie wohl auch nicht sein«, lautete ihr einziger Kommentar dazu. Vom Übergangsjahr wußte sie gerade so viel, daß sie es als blödsinnigen Luxus abtat. Da schenkte man den Jugendlichen ein ganzes Jahr, bloß damit sie über alles mögliche nachdenken, diskutieren und … sich selbst finden konnten, anstatt sich auf die Abschlußprüfungen vorzubereiten.
    Aber Aidan machte ihr keinen Vorwurf daraus.
    Wenn er heute jemandem etwas zu erklären versuchte, hörte es sich immer ziemlich langweilig an. Seine Stimme dröhnte ihm in den Ohren, und es klang irgendwie heruntergeleiert. Dann verdrehten seine Töchter die Augen und fragten sich, warum sie sich mit ihren einundzwanzig und neunzehn Jahren so etwas noch anhören mußten.
    Dabei versuchte Aidan ja, ihnen nicht auf die Nerven zu gehen, denn er wußte um diese typische Eigenart der Lehrer: Weil sie es gewohnt waren, daß ihnen im Klassenzimmer alle aufmerksam zuhörten, gerieten sie leicht ins Schwafeln und beleuchteten jedes Thema von mehreren Seiten, bis sie sicher waren, daß alle sie verstanden hatten.
    Und er gab sich große Mühe, am Leben seiner Frau und seiner Kinder
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