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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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würde. Jung genug war er. Ein wohlhabender, gesunder Mann von vierzig sollte keine Schwierigkeiten haben, eine Frau zu finden. Er blieb jedoch Junggeselle und war für die nicht mehr taufrischen alten Jungfern jahrelang eine rechte Plage. Mit sechzig wurde sein Haar langsam weiß, und mit der Zeit wurde er auch nicht mehr als Heiratskandidat gehandelt. Das Geschäft blühte, und man stellte allerlei Vermutungen an, was daraus werden sollte, wenn er es aus Altersgründen nicht mehr würde weiterführen können. In einer entlegenen Stadt hatte er eine Cousine, die es zu nichts gebracht hatte, aber mit reicher Kinderschar gesegnet war. Freunde der Familie überredeten Jimmy, dass es ein Akt der Nächstenliebe wäre, den ältesten Jungen ins Geschäft zu nehmen. Das ging schief. Der Bursche hatte es von Anfang an darauf angelegt — er verschwand eines schönen Tages mit mehreren hundert Pfund auf Nimmerwiedersehen.
    Der Weg am Fluss, Jimmys abendliche Wanderstrecke, war auf der einen Seite von riesigen Eichen und Ahornbäumen gesäumt, und auf der anderen Seite zog sich ein breiter Uferstreifen hin. Es war ein malerisches Fleckchen Erde, aber kaum noch von Menschen begangen. Früher hatte es Liebespärchen dorthin gezogen, doch die kurvten jetzt lieber in Autos durch die Gegend. Die Älteren lockte nur noch außerordentlich schönes Wetter nach draußen, lieber hockten sie zu Hause vorm Fernseher. So begegnete Jimmy höchstens mal einem Angler oder einem, der mit der Schrotflinte unterwegs war. Jimmy behagte die Stille und Einsamkeit, doch das hatte etwas damit zu tun, dass er geheimen Sehnsüchten nachhing. Um die Stimmung richtig genießen zu können, hatte er sich als Standort einen Ahornbaum auserkoren, der ihm Schutz bot. Am schönsten fand er es, wenn es völlig windstill war. Die Ruhe ringsum versetzte ihn in eine Art Trance, so versunken war er in das Naturschauspiel. Manchmal tauchten auf der Wasseroberfläche hier und da winzige Schaumflocken auf. Selbst die Vögel schienen wie verzaubert und verstummten. Es waren die wenigen Minuten, da das Tageslicht in die Abenddämmerung überging und sich schließlich ganz zurückzog, da die Natur zu begreifen schien, dass vollkommene Stille und Reglosigkeit geboten waren, um sich in aller Ehrfurcht der Dunkelheit zu beugen. Für Jimmy Bowen war genau das der zeitliche Rahmen, in dem er sich die Erfüllung seines heimlichen Sehnens erhoffte. Er träumte davon, dass sich aus dem Schatten des Flussufers eine Frau lösen würde, die Frau seiner Träume, die sich zu ihm gesellen und mit ihm gemeinsam den romantischen Anblick genießen würde. Natürlich wusste er, dass er an einem Ort wie diesem und zu so zauberhafter Stunde kein Wunder erwarten durfte. Und wenn wie stets kein weibliches Geschöpf Gestalt angenommen hatte, machte er sich auf den Rückweg und konnte es dennoch nicht lassen, darauf zu warten, dass sie irgendwo aus den Baumgruppen oder Sträuchern am Wegesrand unversehens auftauchte. Insgeheim hielt er an dem Gedanken fest, dass sie eines Abends erscheinen würde. Plötzlich würde sie da sein, einfach so. Und wenn es dann geschah, würde er sie an die Hand nehmen, und sie würden gemeinsam den Lichtern der Stadt zustreben. Schweigend, denn der Worte bedurfte es nicht.
    Zwanzig Jahre lang war Jimmy ohne jemanden an der Hand der Stadt zugestrebt, aber das hatte seinen Erwartungen keinen Dämpfer aufgesetzt. Er war immer noch voller Hoffnung wie eh und je. Die Arbeit im Geschäft betrieb er mit ernsthaftem Eifer, niemand dort wäre auf die Idee gekommen, dass sich das Privatleben des Mannes auf so unwahrscheinlichen und romantischen Vorstellungen gründete. Wenn überhaupt, stellte man sich eher das völlige Gegenteil vor. Zu seinem Mitarbeiterstab gehörten zwei Gehilfen, zwei Brüder mittleren Alters, die schon bei seinem Vater in die Lehre gegangen waren. Dann gab es da noch ein Faktotum, bereits leicht betagt und ebenfalls ein Überbleibsel aus seines Vaters Zeit, und schließlich Miss Miller. Schwer zu sagen, wie alt sie war. Die Kunden redeten von ihr nur als Mousie Miller. Sie war in den Betrieb gekommen, als sein Vater schon krank war, und hatte ihren Arbeitsplatz in einem verglasten und leicht erhöhten Büroraum, von dem aus sie das Geschehen im Geschäft bestens übersehen konnte. Sie ging schlicht gekleidet, trug eine Brille und benutzte nur selten Make-up. Freunde hatte sie kaum und schien sich damit zu begnügen, die meiste Freizeit mit ihrer
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